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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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dunkelgrauer Vulkanasche angefüllt.
    Ich schluchzte wie ein halb verhungertes Kind, das sich im Dunkeln allein gelassen fühlt. Mein Körper zuckte unter dem Schock der Erinnerung. Wie ein Schiffbrüchiger an einer fernen, unbekannten Küste sah ich mich auf den kalten Boden geworfen. Ich kapitulierte gegenüber der Sinnlosigkeit meiner Geschichte und ließ es zu, dass sich jedes Scheitern und jeder Fehler in einem qualvollen Schluchzen entlud, bis ich irgendwann völlig ausgelaugt zur Ruhe kam.
    Als sich die schreckliche Stille der Erschöpfung über meine Umgebung legte, konnte ich von fern ein spöttisches Lachen hören, das sich in den Schatten verlor. Der Engel lauerte mir immer noch auf und genoss meine Qual in vollen Zügen.
    Ich hob den Kopf und fauchte. Er blieb – nahe genug, um mich zu berühren, weit genug, dass ich ihn nicht packen konnte. Ich spürte, wie der Abstand von Sekunde zu Sekunde millimeterweise schwand. Das sah ihm ähnlich. Versteckspiel. Ausweichmanöver. Manipulation. Kontrolle. Und dann, wenn er den Augenblick für gekommen hielt, schlug er zu. Nur dass er es diesmal auf mich abgesehen hatte.
    Ich riss mich zusammen, rappelte mich auf und wischte mir mit dem Ärmel über das tränennasse Gesicht. Ich drehte mich um und suchte das Zimmer ab.
    »Hier, C-Bird. An der Wand.«
    Aber es war nicht die zischelnde, mörderische Stimme des Engels, sondern Peters.
    Ich schnellte herum. Er saß auf dem Boden und lehnte sich an die voll geschriebene Wand.
    Er sah müde aus. Nein, das trifft es nicht ganz. Er hatte den Rand der Erschöpfung weit überschritten und war an ein anderes Ufer gelangt. Sein Overall war ruß- und dreckverschmiert, und ich sah den Schmutz auf seinem Gesicht und die hellen Streifen, wo ihm der Schweiß heruntergelaufen war. Seine Kleider hatten Risse, und seine schweren braunen Arbeitsstiefel waren von einer Lehmkruste mit Blättern und Tannennadeln überzogen. Er spielte mit seinem silbernen Stahlhelm, indem er ihn zwischen den Händen hin und her warf oder wie einen Kreisel auf dem Zeigefinger drehte. Als er nach einer Weile ein wenig zu Kräften gekommen und seine Fassung wiedergewonnen hatte, nahm er den Helm und klopfte damit an die Wand.
    »Du kommst bald an die Stelle«, sagte er. »Ich denke mal, mir war wirklich nicht klar, welche Angst du vor dem Engel gehabt haben musst. Anders als du habe ich nicht kommen sehen, was uns erwartete. Nur gut, dass einer von uns verrückt war. Oder gerade verrückt genug.«
    Peters Sorglosigkeit drang sogar durch die Dreckschicht auf seiner Haut. Ich fühlte mich unwillkürlich erleichtert. Dennoch blieb ich ihm gegenüber hocken, nahe genug, um ihn zu berühren. Aber ich tat es nicht.
    »Er ist gerade hier«, flüsterte ich vorsichtig. »Er hört uns zu.«
    »Ich weiß«, sagte Peter, »zur Hölle mit ihm.«
    »Diesmal ist er hinter mir her. So wie er es damals angekündigt hat.«
    »Ich weiß«, wiederholte Peter.
    »Ich bin auf deine Hilfe angewiesen, Peter«, sagte ich. »Ich weiß nicht, wie ich mich gegen ihn zur Wehr setzen soll.«
    »Das hast du das erste Mal auch nicht gewusst, aber du hast es rausgefunden«, antwortete Peter. Ein Abglanz seines breiten, strahlenden Grinsens drang durch Erschöpfung, Schmutz und Lumpen hindurch.
    »Diesmal ist es was anderes«, sagte ich. »Damals war es …« Ich führte den Satz nicht zu Ende.
    »Real?«, fragte Peter.
    Ich nickte.
    »Und diesmal nicht?«
    Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.
    »Hilfst du mir?«, fragte ich wieder.
    »Ich kann mir nicht denken, dass du wirklich meine Hilfe brauchst. Aber ich werde tun, was ich kann.« Peter rappelte sich müde auf. Zum ersten Mal bemerkte ich, dass seine Handrücken bis aufs rohe Fleisch verkohlt waren. Die Haut schien sich abgelöst zu haben, denn sie hing in Fetzen von den Knochen und Sehnen. Er war meinem Blick gefolgt, senkte den Kopf und zuckte die Schultern. »Kann nichts dagegen tun«, sagte er. »Wird immer schlimmer.«
    Ich fragte nicht nach, denn ich glaubte, dass ich ihn auch so verstand. In dem Moment des Schweigens, das dann eintrat, drehte er sich um und betrachtete die Wand. Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, C-Bird«, sagte er ruhig. »Ich wusste, dass es dich verletzt, aber mir war nicht klar, wie sehr.«
    »Ich war allein«, sagte ich. »Manchmal frage ich mich, ob es etwas Schlimmeres auf der Welt gibt.«
    Peter lächelte. »Es gibt Schlimmeres«, sagte er. »Aber ich verstehe, was du meinst. Doch ich hatte

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