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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Stimmen in einem Hintergrundmurmeln Zustimmung bekundeten, was ihn noch ein bisschen entspannte. Doch er hatte keine Zeit, bei dem Gedanken zu verweilen, denn er wurde abrupt aus dem Vorzimmer in den Korridor geschoben, und die Tür fiel geräuschvoll hinter ihm zu. Von der kalten Zugluft lief ihm ein Schauder den Rücken herunter und erinnerte ihn daran, dass in diesem Moment sein ganzes bisheriges, vertrautes Leben über den Haufen geworfen wurde und das, was er nunmehr kennen lernen sollte, im Verborgenen und Ungewissen lag. Er musste sich auf die Unterlippe beißen, um die neu aufsteigenden Tränen zurückzuhalten, dann einmal fest schlucken, um Haltung zu wahren und sich folgsam aus dem Anmeldebereich tief ins Innere des Western State Hospital fahren zu lassen.

3
    Eben strich das erste matte Morgenlicht über die nachbarlichen Firste und schlich sich sacht in mein spartanisches kleines Apartment ein. Ich stand vor der Wand und sah, wie sämtliche Wörter, die ich in der letzten Nacht geschrieben hatte, eine einzige Spalte herunterkrochen. Meine Handschrift war eng und wirkte fahrig. Die Worte bildeten Wellenlinien, die ein wenig an ein Weizenfeld erinnerten, wenn ein warmer Windhauch darüber weht. Ich fragte mich: Hatte ich am Tag meiner Ankunft in der Klinik wirklich solche Angst? Die Frage war leicht zu beantworten: Ja, und weitaus schlimmer, als ich es beschrieben hatte. In der Erinnerung wird der Schmerz diffus. Die Mutter vergisst die Qual der Geburt, sobald man ihr das Baby in die Arme drückt; der Soldat weiß nichts mehr von den Schmerzen seiner Wunden, wenn der General ihm den Orden an die Brust heftet und die Kapelle einen zackigen Marsch anstimmt. Habe ich wahrheitsgemäß geschildert, was ich gesehen habe? Und auch die Details richtig wiedergegeben? Ist es genau so passiert, wie ich mich entsinne?
    Ich nahm den Stift und ließ mich an der Stelle vor der Wand, an der ich letzte Nacht aufgehört hatte, auf die Knie nieder. Ich zögerte einen Moment und schrieb:
     
    Mindestens achtundvierzig Stunden später erwachte Francis Petrel, fest in eine Zwangsjacke geschnürt, mit rasendem Herzklopfen und schwerer Zunge in einer schäbigen grauen Gummizelle und wollte nur etwas Kaltes zu trinken und nicht allein sein …
    Mindestens achtundvierzig Stunden später erwachte Francis Petrel, fest in eine Zwangsjacke geschnürt, mit rasendem Herzklopfen und schwerer Zunge in einer schäbigen grauen Gummizelle und wollte nur etwas Kaltes zu trinken und nicht allein sein …
    Er lag steif auf dem Metallbett mit dunkelgrau verfleckter Matratze in der Isolierzelle mit den jutefarbenen Gummiwänden, starrte zur Decke und bemühte sich um eine erste Bestandsaufnahme seines Zustands und seiner Umgebung. Er wackelte mit den Zehen, leckte sich über die ausgetrockneten Lippen und zählte jeden Pulsschlag mit, bis er merkte, wie er langsamer wurde. Von den Medikamenten, die ihm verabreicht worden waren, fühlt er sich wie lebendig begraben oder zumindest wie in eine dicke, sirupartige Substanz getaucht. Hoch über ihm befand sich außerhalb seiner Reichweite eine einzige weiße Glühbirne in einem Drahtgitter, und das grelle Licht tat ihm in den Augen weh. Er wusste, dass er eigentlich Hunger haben musste, doch er hatte nicht den geringsten Appetit. Er zerrte an der Zwangsjacke und begriff sofort, dass es vergeblich war. Er beschloss, um Hilfe zu rufen, doch als Erstes flüsterte er sich selbst zu: Seid ihr noch da?
    Für einen Moment herrschte Stille.
    Dann hörte er mehrere Stimmen, die alle auf einmal redeten und alle wie von fern, wie unter einem Kissen hervor
: Wir sind da. Wir sind noch da.
    Das beruhigte ihn.
    Du darfst uns nicht verraten, Francis.
    Er nickte. Das war nur naheliegend. Wie er feststellte, hatte er widersprüchliche Kriterienkataloge im Kopf, fast so wie ein Mathematiker, dem angesichts einer schwierigen Gleichung unterschiedliche Lösungswege einfallen. Die Stimmen, die ihm mit Rat zur Seite standen, hatten ihn auch in diese missliche Lage gebracht, und er hegte kaum Zweifel, dass er sie grundsätzlich verschweigen musste, wenn er je wieder aus dem Western State Hospital herauskommen wollte. Während er dieses Dilemma abzuwägen versuchte, hörte er, wie all die vertrauten Leute, die seine Phantasiewelt bevölkerten, Zustimmung bekundeten. Jede dieser Stimmen besaß ihre eigene Persönlichkeit: eine fordernde Stimme, eine disziplinierte, eine kompromissbereite, eine besorgte, eine warnende, eine

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