Die Anstalt
besänftigende, eine zweifelnde und eine entscheidungsfreudige Stimme. Sie verbanden sich jeweils mit einer charakteristischen Sprechweise und mit vorherrschenden Motiven; er wusste längst, in welcher Situation er mit welchen von ihnen zu rechnen hatte. Seit der wütenden Auseinandersetzung mit seinen Leuten und seit dem Eintreffen der Polizei und des Krankenwagens hatten die Stimmen alle zusammen hektisch versucht, seine Aufmerksamkeit zu erringen. Doch jetzt musste er weiterhin die Ohren spitzen, um sie zu hören, so dass er vor lauter Konzentration die Stirn in Falten legte.
Es war, überlegte er, eine Methode, sich in den Griff zu bekommen.
Francis blieb noch eine Stunde lang in dieser unbequemen Lage auf dem Bett, in der bedrückenden Enge des schmalen Zimmers, bis sich in der einzigen Tür mit einem ratschenden Geräusch ein Guckfenster öffnete. Von der Stelle aus, an der er lag, konnte er nur etwas sehen, wenn er wie ein Athlet die Bauchmuskeln anspannte und den Oberkörper hob, was wegen der Zwangsjacke nach ein paar Sekunden zu anstrengend wurde. Dennoch sah er, wie zuerst ein Auge und dann noch ein zweites zu ihm hereinspähte, und er brachte ein schwaches »Hallo?« heraus.
Doch es meldete sich niemand, und das Fenster wurde wieder zugeschlagen.
Nach seiner Schätzung vergingen noch einmal dreißig Minuten, bevor sich das runde Fenster wieder öffnete. Er versuchte es noch einmal mit hallo, und diesmal schien es Wirkung zu zeigen, denn Sekunden später hörte er, wie sich ein Schlüssel im Schloss bewegte. Die Tür ging mit einem ratschenden Geräusch auf, und er sah, wie sich der größere der beiden schwarzen Pfleger in die Zelle schob. Der Mann lächelte, als wäre er gerade dabei gewesen, einen Witz zu erzählen, und nickte Francis nicht unfreundlich zu. »Wie geht’s Ihnen heute Morgen, Mr. Petrel?«, fragte er fröhlich. »Ein bisschen geschlafen? Hunger?«
»Ich muss was trinken«, krächzte Francis.
Der Pfleger nickte. »Das kommt von den Pillen, die Sie bekommen haben. Man kriegt ’ne schwere Zunge davon, als ob sie geschwollen wäre, wie?«
Francis nickte. Der Mann verschwand im Flur und kam mit einer Plastiktasse Wasser wieder. Er setzte sich auf den Pritschenrand und hielt Francis wie ein krankes Kind hoch, um ihn ein paar Schluck trinken zu lassen. Es war lauwarm, fast abgestanden, mit einem leicht metallischen Geschmack, doch für den Augenblick fühlte sich Francis von der Flüssigkeit, die ihm durch die Kehle lief, und dem Druck des Pflegers, der ihn im Arm hielt, unerwartet getröstet. Der Mann spürte das wohl, denn er sagte: »Das wird schon alles, Mr. Petrel. Mr. C-Bird. So hat Sie der andere Neue doch genannt, und ich denke mal, der Name passt gut zu Ihnen. Am Anfang ist es hier nicht ganz leicht, man muss sich erst mal ein bisschen dran gewöhnen und so, aber das gibt sich bald, verlassen Sie sich drauf.«
Er ließ Francis wieder auf das Bett zurücksinken und fügte hinzu: »Der Doktor kommt jetzt, um nach Ihnen zu sehen.«
Ein paar Sekunden später sah Francis Dr. Gulptilils runde Gestalt im Türrahmen stehen.
Der Doktor lächelte und fragte mit der charakteristischen Singsang-Intonation: »Mr. Petrel. Wie geht’s Ihnen heute Morgen?«
»Mir geht’s gut«, sagte Francis. Er wusste einfach nicht, was er sonst hätte sagen sollen. Und außerdem hörte er in diesem Moment das schwache Echo seiner Stimmen, die ihn mahnten, äußerst vorsichtig zu sein. Andererseits waren sie nicht annähernd so laut, wie sie sein konnten, sondern klangen eher, als riefen sie ihm über eine breite Schlucht hinweg ihre Befehle zu.
»Erinnern Sie sich, wo Sie sind?«
Francis nickte. »Ich bin in einer Klinik.«
»Ja«, sagte der Arzt mit einem Lächeln. »Das ist nicht schwer zu erraten. Aber erinnern Sie sich auch, in welcher? Und wie Sie hierher gekommen sind?«
Francis wusste es sehr wohl. Das Beantworten von Fragen hob den Nebelschleier ein wenig, der ihm irgendwie die Sicht behinderte. »Das hier ist das Western State Hospital«, sagte er. »Und ich bin hier in einem Krankenwagen angekommen, nachdem ich mit meinen Eltern Streit hatte.«
»Sehr gut. Und erinnern Sie sich auch an den Monat? Und das Jahr?«
»Ich glaube, es ist immer noch März. 1979.«
»Ausgezeichnet.« Der Doktor schien aufrichtig erfreut. »Schon eine etwas bessere Orientierung, wie mir scheint. Ich glaube, heute können wir Sie aus der Isolierzelle und der Zwangsjacke holen und Sie allmählich wieder unters
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