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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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und es gibt bald Abendessen, und meine Eltern und meine Schwestern, also, sie wollen alle, dass jeder zum Essen zu Hause ist. Das ist bei uns die Regel, wissen Sie. Man muss um sechs, Hände und Gesicht gewaschen, zu Hause sein. Und keine dreckigen Sachen, wenn man zum Spielen draußen gewesen ist. Bereit fürs Tischgebet. Wir sagen immer einen Segensspruch vor dem Essen. Wir danken Gott für das, was er uns beschert hat. Ich glaube, heute bin ich dran – ja, ich bin sicher –, ich muss also zurück, ich darf nicht zu spät kommen.«
    Er merkte, wie ihm die Tränen in den Augen brannten, und er hörte, wie einige seiner Worte im Schluchzen untergingen. Was sich hier abspielte, passierte einem Spiegelbild von ihm und nicht wirklich ihm, während er selbst ein wenig neben sich stand und sein Äußeres aus einiger Distanz betrachtete. Er versuchte krampfhaft, all diese Teile von ihm zu sammeln und zusammenzubringen, doch das war schwer.
    »Vielleicht«, sagte Dr. Gulptilil freundlich, »haben Sie die eine oder andere Frage an mich?«
    »Wieso kann ich nicht nach Hause?« Francis keuchte die Frage zwischen Tränen heraus.
    »Weil es Leute gibt, die Ihretwegen Angst haben, Francis, weil Sie Menschen Angst einjagen.«
    »Und wo bin ich hier?«
    »An einem Ort, wo Ihnen geholfen wird«, sagte der Arzt.
    Lügner! Lügner! Lügner!
    Dr. Gulptilil sah zu den beiden Pflegern auf, und das Nächste, was er sagte, galt ihnen. »Mr. Moses, wollen Sie und Ihr Bruder Mr. Petrel wohl bitte ins Amherst bringen? Ich habe für die Schwestern dort die Medikation und ein paar zusätzliche Anweisungen aufgeschrieben. Er muss mindestens sechsunddreißig Stunden, vielleicht auch länger, unter Aufsicht bleiben, bevor sie ihn eventuell auf die offene Station verlegen können.« Er reichte das Klemmbrett dem kleineren der beiden Männer zu Francis’ Linken, und der Mann nickte zur Antwort.
    »Wie Sie wünschen, Doc«, sagte der Pfleger.
    »Wird gemacht, Doc«, erwiderte sein hünenhafter Partner, der hinter den Rollstuhl trat, die Griffe packte und Francis herumwirbelte. Von der Bewegung wurde ihm plötzlich schwindelig, und er unterdrückte ein Schluchzen, das ihm in der Brust festsaß. »Sie müssen keine Angst haben, Mr. Petrel. Das wird schon alles, keine Sorge. Wir kümmern uns um Sie«, flüsterte der Große.
    Francis glaubte ihm nicht.
    Er wurde durch das Sprechzimmer wieder ins Wartezimmer gerollt, die Tränen liefen ihm die Wangen herunter, und die Hände zitterten ihm in den Handschellen. Er verrenkte sich auf dem Stuhl, um die Aufmerksamkeit entweder des Großen oder des Kleinen auf sich zu lenken, während seine Stimme in einer Mischung aus Furcht und abgrundtiefer Traurigkeit krächzte. »Bitte«, sagte er flehentlich, »ich will nach Hause. Die erwarten mich. Und ich
will
da hin. Bitte bringen Sie mich nach Hause.«
    Er sprach mit ihm, als wäre er ein kleines Kind.
    Francis’ Körper wurde vom Schluchzen geschüttelt, das aus seinem tiefsten Innern drang. Die strenge Sekretärin sah mit einem unversöhnlichen Blick von ihrem Platz hinter dem Schreibtisch auf. »Beruhigen Sie sich!«, befahl sie Francis. Er schluckte ein weiteres Schluchzen hinunter.
    Gleichzeitig sah er sich im Zimmer um und bemerkte die beiden uniformierten Polizisten –
troopers
– in grauer Uniformjacke und blauer Reiterhose über blank polierten, kniehohen braunen Stiefeln. Sie waren beide stramme, hochgewachsene Burschen, Inbegriff von Disziplin, mit kurzgeschnittenem Haar, in der Hand den Diensthut mit geschwungener, hochgestülpter Krempe steif an der Hosennaht. Jeder von ihnen trug einen Sam-Browne-Ledergürtel, derart auf Hochglanz poliert, dass man sich darin spiegeln konnte, und an der Taille einen Revolver im Halfter. Doch Francis’ eigentliches Interesse weckte der Mann, den sie flankierten.
    Er war kleiner als die Polizisten, doch von stämmigem Körperbau. Francis hätte ihn auf Ende zwanzig, Anfang dreißig geschätzt. Er stand lässig und entspannt da, die Hände vorn zusammengebunden, doch er schien die Fesseln zu ignorieren, so dass sie weniger eine Bewegungseinschränkung als viel mehr eine Unannehmlichkeit waren. Er trug einen lose fallenden, marineblauen Overall, mit der eingestickten gelben Aufschrift MCI -Boston auf der linken Brusttasche und ein Paar alte, abgetragene Laufschuhe, an denen die Schnürsenkel fehlten. Er hatte ziemlich langes braunes Haar, das unter dem Rand einer schweißverfleckten Baseballkappe der Boston Red Sox

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