Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
zusammen.
    Andererseits auch wieder nicht, denn die Verhaftung und Strafverfolgung Krimineller basierte nun einmal nicht auf dem, was man wusste, sondern auf dem, was man beweisen konnte, und bislang konnte sie rein gar nichts beweisen.
    Zum ersten Mal wurde ihr klar, dass unter den gegebenen Umständen an den Engel nicht heranzukommen war. Tief in Gedanken machte sie sich auf den Weg zum Amherst-Bau zurück. Es wurde frisch am frühen Abend, und Lucy merkte nicht, wie die Agonie in den leeren, verlorenen Schreien, die durch das Klinikgelände hallten, sich in der kühlen Luft ringsum verflüchtigte. Wäre sie nicht so in das Scheitern ihrer eigenen Hoffnungen versunken gewesen, hätte sie vielleicht gemerkt, dass die Laute, die sie bei ihrer Ankunft im Western State so verstört hatten, inzwischen in ihrer Wahrnehmung eine Nische gefunden hatten, wo sie immun dagegen war, und dies in einem Maße, dass es ihr so vorkam, als würde sie selbst langsam, aber sicher zu einem festen Bestandteil der Anstalt, eine bloße Randerscheinung all des Wahnsinns, der hier so unglücklich hauste.
     
    Peter schaute auf und merkte, dass etwas nicht stimmte, er konnte aber nicht sagen, was genau. Das war das Problem in der Klinik; alles war verdreht, falsch herum, verzerrt oder deformiert. Einen Moment lang sehnte er sich nach der Einfachheit einer Brandstelle. Es hatte ihn mit einem Gefühl von Freiheit erfüllt, wenn er inmitten der verkohlten, nassen, stinkenden Überreste des einen oder anderen Feuers herumwanderte und sich vorstellte, wie genau der Brand entstanden war und wie er sich, durch den einen oder anderen Brennstoff beschleunigt, vom Boden zu den Wänden, dann zur Decke und schließlich zum Dach weitergefressen hatte. Die Analyse eines Feuers war von einer gewissen mathematischen Präzision, und es war überaus befriedigend für ihn gewesen, ein Stück verbranntes Holz oder versengten Stahl zu halten, die Restwärme in den Handflächen zu fühlen und zu wissen, dass er sich alles, was jetzt vernichtet war, so vorstellen konnte, wie es Sekunden, bevor das Feuer voll im Gange war, ausgesehen hatte. Es war wie die Fähigkeit, in die Vergangenheit zu blicken, nur eben deutlich, ohne die Nebelschleier der Emotionen und des Stresses. Man konnte den Ablauf des Ereignisses wie auf einer Landkarte ablesen, und Peter sehnte sich nach den einfacheren Zeiten, als er noch auf jeder Route an ein genau festgelegtes Ziel gelangen konnte. Er hatte sich immer wie einer jener Künstler gesehen, deren Aufgabe darin bestand, große Gemälde zu restaurieren, die von der Zeit oder den Elementen zerstört worden waren, und mit der größten Sorgfalt die Farben und Pinselstriche so vieler genialer Geister der Vergangenheit nachzuempfinden und als Künstler von geringerer, doch zugleich entscheidender Bedeutung auf den Pfaden eines Rembrandt oder Da Vinci zu wandeln.
    Zu seiner Rechten brach ein ungepflegter, zerzauster Mann in ein heiseres, wieherndes Gelächter aus, als er an sich heruntersah und merkte, dass er sich eingenässt hatte. Die Patienten stellten sich allmählich für die abendliche Medikamentenausgabe an, und Peter beobachtete, wie Big Black und Little Black versuchten, Ordnung in die Sache zu bringen. Es war ein bisschen wie der Versuch, die peitschenden Wellen an einem Strand zu organisieren; alles endete an mehr oder weniger derselben Stelle, doch jeder wurde von Kräften getrieben, die so schwer fassbar waren wie Wind und Strömungen.
    Peter schauderte und dachte:
Ich muss hier raus
. Bis dahin hielt er sich noch nicht für verrückt, doch er wusste, dass vieles, was er getan hatte, verrückt wirkte, und je länger er in der Anstalt blieb, desto stärker würden diese Dinge sein Leben beherrschen. Es trieb ihm den Schweiß aus den Poren, und er wusste sehr wohl, dass es Leute gab – darunter Mr. Evil –, die genüsslich zusehen würden, wie er hier einen Nervenzusammenbruch erlitt. Er konnte von Glück sagen, denn er klammerte sich nach wie vor an einen Rest von intakter Vernunft. Die anderen Patienten brachten ihm einen gewissen Respekt entgegen, weil sie wussten, dass er nicht so verrückt wie ihresgleichen war. Doch das konnte sich ändern. Vielleicht hörte er irgendwann dieselben Stimmen wie sie, fing an zu schlurfen, vor sich hin zu murmeln, sich in die Hose zu machen und sich zur Medikamentenausgabe anzustellen. Es war hier ganz in Ordnung, und er wusste, dass er, falls er den Absprung nicht fand, aufgesogen

Weitere Kostenlose Bücher