Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
das hat nicht das Geringste mit den Geisteskrankheiten zu tun, die wir normalerweise hier drinnen haben. Er plant. Er überlegt. Ihm geht es um das Böse schlechthin, genauso, wie Lanky immer sagte. Er hört keine Stimmen und hat auch keine anderen Wahnvorstellungen. Aber hier drinnen kann er sich verstecken, weil niemand, der ihn sieht, auf den Gedanken käme, dass er es
nicht
mit einem Verrückten zu tun hat, sondern mit einem, der dem Bösen verfallen ist.«
    Francis schüttelte den Kopf, als wäre es schmerzhaft für ihn, die Gedanken auszusprechen, die ihm im Kopf herumgeisterten.
    »Was willst du damit sagen, C-Bird? Worauf willst du hinaus?« Peter hatte die Stimme ein wenig gesenkt.
    »Was ich sagen will, ist, dass wir all diese Einweisungsformulare durchgeforstet und diese Befragungen veranstaltet haben, weil wir nach etwas suchten, das jemanden hier drinnen mit der Außenwelt verbindet. Du und Lucy, wonach habt ihr Ausschau gehalten? Nach Männern mit einer gewalttätigen Vorgeschichte. Psychopathen. Männern mit offensichtlicher Aggression. Strafregistern. Vielleicht auch nach Leuten, die Stimmen hören, die ihnen befehlen, Frauen Gewalt anzutun. Ihr wollt jemanden finden, der zugleich verrückt und kriminell ist, stimmt’s?«
    Endlich meldete sich Lucy zu Wort. »Das ist der einzige vernünftige Ansatz …«
    »Aber hier drinnen hat
jeder
den einen oder anderen verrückten Impuls. Und einer Menge Leuten hier wäre eine mörderische Neigung zuzutrauen, hab ich Recht? Hier balanciert jeder auf einem schmalen Grat.«
    »Ja, aber …« Lucy kaute schwer an dem, was Francis sagte.
    Er drehte sich zu ihr um. »Aber meinst du nicht, dass der Engel das auch weiß?«
    Sie antwortete nicht sofort.
    Francis holte tief Luft. »Der Engel ist jemand, in dessen Krankenblatt nichts auf einen Killer deutet. Ein Chamäleon, der seine Farbe mit der Umgebung wechselt. Und er ist jemand, den wir uns nie genauer ansehen würden. Auf diese Weise ist er vor uns sicher. Und nur so kann er tun und lassen, was er will.«
    Peter reagierte skeptisch, und auch Lucy war anzusehen, dass sie noch nicht überzeugt war. Sie äußerte ihre Bedenken als Erste. »Dann denken Sie also, Francis, dass der Engel nur so tut, als wäre er geisteskrank?« Sie ließ die Frage im Raum stehen, als legte ihre Formulierung »nur so tut« nahe, dass so etwas undenkbar war.
    Francis schüttelte zuerst den Kopf, dann nickte er. Widersprüche, die ihm so einleuchtend schienen, waren für die anderen beiden schwer nachzuvollziehen. »Er kann nicht so tun, als ob er Stimmen hörte. Er kann nicht so tun, als hätte er Wahnvorstellungen. Er könnte nicht so tun, als wäre er« – Francis atmete einmal tief durch, bevor er fortfuhr – »wie ich. Das würden die Ärzte durchschauen. Selbst Mr. Evil würde das früher oder später durchschauen.«
    »Und das heißt?«, bohrte Peter.
    »Sieh dich um«, antwortete Francis. Er wies auf die andere Seite des Flurs, wo der große, bullige Retardierte, der aus dem Williams hierher verlegt worden war, an die Wand gelehnt stand, seine Raggedy-Andy-Puppe im Arm hielt und den grellbunten Stofffetzen mit dem kecken Hut und dem falschen Lächeln leise schnulzige Lieder vorsang. Dann sah Francis einen Kato reglos mitten im Korridor stehen, den Blick zur Decke gewandt, als könnte seine Sehkraft durch die Schalldämmung, die Stützbalken, den Bodenbelag und das Mobiliar des zweiten Stocks und schließlich durchs Dach bis in den blauen Morgenhimmel darüber dringen. »Wie schwer«, fragte Francis ruhig, »wäre es aber, sich dumm zu stellen? Oder sprachlos? Und wer würde, wenn man einer von denen da wäre, auf einen achten?«
    Ein winselnder, kreischender, jaulender Laut wie hundert Wildkatzenschreie auf einmal zerrte an jedem Nervenende in meinem Körper. Zwischen den Augen tropfte mir der feuchte, kalte Schweiß herunter und nahm mir beißend die Sicht. Ich bekam kaum Luft, ich keuchte wie ein Kranker und sah, wie meine Hände zitterten. Ich traute meiner Stimme kaum noch etwas anderes zu als ein tiefes, hilfloses Stöhnen.
    Der Engel geisterte wutschäumend in meiner Nähe herum.
    Er brauchte mir auch nicht zu sagen, wieso, denn jedes Wort, das ich geschrieben hatte, sprach Bände.
    Ich wand mich auf dem Boden, als liefen mir Stromstöße durch den Körper. Im Western State gaben sie mir niemals Elektroschockbehandlung. Das war wohl die einzige als Therapie getarnte Grausamkeit, die mir erspart geblieben ist. Doch ich hegte

Weitere Kostenlose Bücher