Die Anstalt
befinden?«
»Sollten sie zumindest. Aber wie bei allem hier, muss das, was sein sollte, und das, was ist, nicht immer ein und dasselbe sein.« Er lachte. »Jetzt fängst du allmählich an, Fragen zu stellen wie Miss Jones und Peter. Er weiß, wie man Fragen stellt. Du lernst es gerade.«
Francis quittierte das Kompliment mit einem Lächeln. »Ich frage mich«, sagte er, »ob sie rund um die Uhr genauen Aufschluss darüber haben, wo all diese Schlüssel sind.«
Big Black schüttelte den Kopf. »Die Frage hast du noch nicht ganz richtig gestellt, C-Bird. Versuch’s noch mal.«
»Fehlen irgendwelche Schlüssel?«
»Ja, so muss die Frage lauten, nicht wahr? Ja. Es fehlen Schlüssel.«
»Und hat schon jemand danach gesucht?«
»Ja. Aber vielleicht ist Suchen nicht das richtige Wort. Die Leute haben an all den offensichtlichen Stellen nachgesehen und einfach aufgegeben, als sie sie nirgends fanden.«
»Und wer hat sie verloren?«
»Nun ja«, sagte Big Black mit einem Grinsen, »dabei handelt es sich doch wahrhaftig um unseren guten alten Mr. Evans.«
Der riesenhafte Aufseher brach wieder in Gelächter aus, und als er den Kopf zurückwarf, entdeckte er seinen kleineren Bruder, der auf sie zukam. »Hey«, rief er ihnen zu, »C-Bird begreift allmählich, wie der Hase läuft.«
Francis sah, wie die Schwestern hinter dem Maschendraht der Pflegestation aufsahen und lächelten, als wäre das ein Witz gewesen. Auch Little Black grinste, während er auf die beiden zuschlenderte. »Wissen Sie, was, Francis?«, sagte er.
»Was denn, Mr. Moses?«
»Also, wenn Sie kapieren, wie diese Welt hier funktioniert« – er wedelte mit dem Arm herum, um die ganze Station einzubeziehen –, »und es macht so richtig schön klick bei Ihnen – dann kapieren Sie auch die Welt da draußen, direkt hinter diesen Wänden – also, das kriegen Sie dann auch auf die Reihe. Wenn man Sie lässt.«
»Und was kann ich tun, damit man mich lässt, Mr. Moses?«
»Ist das nicht die Frage aller Fragen, kleiner Bruder? Das ist die große Frage, die sich hier drinnen jede Minute, jeden Tag einer stellt. Es gibt Möglichkeiten, C-Bird. Zumindest mehr als nur eine Möglichkeit. Aber dafür gibt’s keine einfachen Rezepte. Tu dies. Tu das. Und schon lassen sie dich. Nee, so läuft das nicht. Sie müssen rausfinden, wie’s bei Ihnen klappen könnte. Dann schaffen Sie’s auch, C-Bird. Müssen nur die Augen offenhalten, damit Sie Ihre Chancen nicht verpassen. Da liegt der Hase im Pfeffer, nicht?«
Francis wusste nicht, was er sagen sollte, aber er war fest davon überzeugt, dass sich der ältere Bruder irrte. Und er glaubte nicht, dass er über irgendwelche Fähigkeiten verfügte, irgendeine Welt, welche auch immer, zu verstehen. Tief drinnen rumorten ein paar von seinen Stimmen, und er versuchte, auf das, was sie sagten, zu hören, denn er vermutete stark, dass sie zu dem Thema ihre eigene Meinung hatten.
Doch als er sich konzentrierte, merkte er, wie beide Pfleger ihn beobachteten und ihm sein Innerstes im Gesicht ablasen, und einen Moment lang fühlte er sich nackt, als hätte man ihm die Kleider vom Leib gezerrt. Also lächelte er stattdessen so freundlich, wie er konnte, bevor er die beiden stehen ließ und den Flur entlangwanderte. Er beschleunigte seine Schritte im Takt zu all den Zweifeln, die in seinem Innern trommelten.
Lucy saß am Schreibtisch in Mr. Evans’ Büro, während er einen von vier Aktenschränken durchstöberte, die an der Wand aufgestellt waren. Ihr Blick wurde von einem Foto auf der Ecke angezogen, einem Hochzeitsbild. Sie sah Evans, das Haar ein wenig kürzer geschnitten und glatter gekämmt, in einem blauen Nadelstreifenanzug, der aber nur seinen hageren Körperbau unterstrich, neben einer jungen Frau in einem weißen Kleid, das eine fortgeschrittene Schwangerschaft kaum verbergen konnte, mit einem Blumenkranz im gekräuselten braunen Haar. Sie standen inmitten einer Gruppe, die von sehr alt bis sehr jung reichte und, wie Lucy fand, dasselbe aufgesetzte Lächeln an den Tag legte. Im Kreis der Hochzeitsgesellschaft befand sich auch ein Mann in wallendem Priestergewand, dessen goldener Brokat das Blitzlicht einfing, und leicht verzögert erkannte Lucy, dass er fast das genaue Ebenbild des Psychologen war.
»Sie haben einen Zwillingsbruder?«, fragte sie.
Evans schaute auf, sah, dass sich Lucys Augen auf das Foto richteten, und drehte sich mit einem Haufen gelber Aktenmappen im Arm zu ihr um. »Liegt in der
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