Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
die sie von Lucy und den Akten, über denen sie brütete, trennte. Er atmete langsam mit einem pfeifenden Geräusch aus.
    »Hast du mit Napoleon geredet?«
    »Er wollte Schach spielen. Also hab ich mich zu einer Partie breitschlagen lassen, und er hat mich in die Pfanne gehauen. Ist trotzdem ein lehrreiches Spiel für einen Ermittler.«
    »Wieso?«
    »Weil es unendlich viele Varianten für eine Gewinnstrategie gibt, man aber trotzdem bei den möglichen Zügen durch die spezifischen Regeln eingeschränkt ist, nach denen jede Figur übers Brett ziehen kann. Ein Springer darf so …« Er machte mit der Hand eine Bewegung nach vorn und zur Seite. »Ein Läufer darf dagegen so …« Er zeigte mit der flachen Hand in die Diagonale. »Spielst du Schach, C-Bird?«
    Francis schüttelte den Kopf.
    »Solltest du lernen.«
    Während sie sich unterhielten, schlurfte ein stämmiger, untersetzter Mann, der im dritten Stock wohnte, heran und blieb ihnen gegenüber stehen. Er hatte einen Gesichtsausdruck, den Francis bei den vielen geistig Behinderten in der Anstalt leicht wiedererkannte. Es war eine Mischung aus Verständnislosigkeit und Wissbegier, als suchte der Mann eine Antwort auf etwas, wusste aber, dass er sie nicht verstehen konnte, weshalb er sich mehr oder weniger in einem Dauerzustand der Frustration befand. Es gab im Amherst und in der gesamten Western-State-Klinik Männer wie diesen hier, und jeden Tag aufs Neue machten sie Francis Angst, weil sie alles in allem überaus gutmütig waren, aber zu plötzlichen, unvorhersehbaren Wutanfällen neigten. Daher hatte er schnell begriffen, dass er um die Zurückgebliebenen besser einen großen Bogen machte. Als Francis ihm einen Blick zuwarf, riss er die Augen auf und gab einen knurrenden Laut von sich, als ärgerte er sich darüber, dass so vieles von der Welt außerhalb seiner Reichweite lag. Es folgte eine Art kurzes Gurgeln, und er starrte Peter und Francis weiterhin unverwandt an.
    Peter erwiderte seinen Blick ebenso unerbittlich. »Was gucken Sie so?«, fragte er.
    Der Mann gurgelte einfach nur ein wenig lauter.
    »Was wollen Sie?«, fragte Peter. Er löste sich von der Wand und straffte sich.
    Der geistig Zurückgebliebene stieß einen langen Grunzlaut aus wie ein wildes Tier, das auf einen Rivalen losgeht. Mit eingezogenen Schultern kam er einen Schritt näher. Sein Gesicht verzerrte sich, und Francis hatte das Gefühl, dass die Beschränktheit seines Vorstellungsvermögens den Mann umso gefährlicher machte, da Zorn im Rahmen seiner dürftigen Möglichkeiten fast das Einzige war, was ihm zur Verfügung stand. Und es wäre unmöglich gewesen, festzustellen, woher er rührte. Er brach einfach in diesem Moment, an dieser Stelle aus ihm heraus. Der Mann ballte die Fäuste und stieß sie zwischen ihnen beiden wild in die Luft, als schlüge er auf eine Vision ein.
    Peter machte noch einen Schritt auf ihn zu und blieb stehen. »Lass das besser, Kumpel«, sagte er.
    Allem Anschein nach wollte der andere zum Angriff übergehen.
    »Das ist es nicht wert«, wiederholte Peter. Doch während er sprach, wappnete er sich.
    Der Behinderte kam noch einen einzigen Schritt auf sie beide zu, dann blieb er stehen. Während er seinem offenbar gewaltigen unterdrückten Zorn in Grunzlauten Luft machte, hob er plötzlich eine Faust und schlug sie sich an die Schläfe. Der Schlag hallte durch den Flur wider. Dann ließ er einen zweiten ebenso lauten hören. Neben seinem Ohr war ein kleines Rinnsal Blut zu sehen.
    Weder Peter noch Francis rührten sich vom Fleck.
    Der Mann stieß einen Schrei aus, der zugleich von Triumph und qualvoller Niederlage zeugte. Francis hätte nicht sagen können, ob das als Alarmsignal zu deuten war. Der Behinderte gab einen Seufzer von sich und richtete sich auf. Er sah Francis und Peter an und schüttelte den Kopf, als hätte er etwas im Auge. Urplötzlich zog er verständnislos die Augenbrauen zusammen, als sei ihm in diesem Moment eine entscheidende Frage ins Bewusstsein gedrungen und zugleich mit der Frage auch die Offenbarung gekommen, wie die Antwort lautete. Daraufhin verzog sich sein Mund halb zu einem Knurren, halb zu einem Lächeln – er drehte ab, schlurfte weiter durch den Flur und brabbelte vor sich hin.
    Francis und Peter sahen ihm nach, wie er sich schwankend entfernte.
    »Was sollte das Ganze?«, fragte Francis mit etwas wackliger Stimme.
    Peter schüttelte den Kopf. »Nichts weiter«, erwiderte er leise. »Hier drinnen kann man eben nie wissen,

Weitere Kostenlose Bücher