Die Apothekerin
angeordnet. Ich hatte auch hier meine heimliche Ordnung - die Anfangsbuchstaben der einzelnen Etiketten ergaben das Wort ANEMONE - und hierbei waren zwei Buchstaben vertauscht: ANOMENE las ich mit Befremden. Levin sucht das Gift, war mein erster Gedanke, und mir wurde mulmig. Ich kontrollierte das Innere des Wollrocks, er hatte nichts gefunden.
Das Versteck war gut. Für diesen alten Rock würde sich Margot kaum interessieren.
Natürlich fragte ich mich, ob ich Levin zur Rede stellen sollte. Von meinem Gefühl her widerstrebte es mir. Ich würde ihm gegebenenfalls Vorwürfe machen müssen, ihn verdächtigen; er würde leugnen, und ich würde als die strafende Oberlehrerin dastehen. Lieber ihn gut überwachen.
Mein Verdacht wurde bestärkt, als Levin eines Abends mit größter Harmlosigkeit um ein Schlafmittel bat.
»In deinem Alter« - ich fuhr bei meinen tantenhaften Worten selbst zusammen - »ist das nicht angebracht. Wenn du zweimal nicht gut schläfst, klappt es beim dritten Mal um so besser.«
Levin zuckte nicht mit der Wimper. »Strenge Hella«, sagte er, »immer um mein Wohl und meine Gesundheit besorgt. Ich halte zwar wenig von der Arzneikunde, aber man kann ja gelegentlich eine Ausnahme machen.«
Ärgerlich sagte ich: »Wenn du meinst, Schlafmittel zu brauchen, dann laß sie dir vom Arzt verschreiben.«
An diesem Abend war er betont lieb und aufmerksam, schlief in meinem Bett ein und wachte nicht auf, als ich morgens zur Arbeit mußte.
Da Levin immer lange zu telefonieren pflegte, stand mein Apparat häufig in seinem Zimmer. Als ich eines Abends Dorit anrufen wollte, mußte ich mir das Telefon holen. Ich stand vor Levins Tür, als ich ihn reden hörte. Das Stichwort »Margot« ließ mich wie angewurzelt stehenbleiben und lauschen.
»Rechtsanwalt? Wann?« fragte Levin erregt.
Bei unserem nächsten Besuch in Viernheim war ich überrascht, wie gesund und vital der Großvater wirkte. Er war auf ein neues Herzmittel eingestellt worden und behauptete, er fühle sich wie neugeboren. Levin lief im Haus herum und tat so, als ob er in allen Ecken nach dem Rechten sehen müsse.
Unterdessen nahm mich Hermann Graber beiseite. »Will er Sie heiraten?« fragte er.
Ich errötete. »Fragen Sie ihn selbst.«
»Es ist mir eine Beruhigung, wenn der Junge unter der Fuchtel einer vernünftigen Frau steht. Er ist etwas leichtsinnig.«
Ich nickte und sah wohl wie eine innig Liebende aus.
Hermann Graber erklärte: »Sie erinnern mich ein bißchen an meine verstorbene Frau. Kompliment. Vielleicht ändere ich mein Testament dahingehend, daß Levin nur erbt, wenn er mit Ihnen verheiratet ist.«
»Lieber nicht, Herr Graber. Meinen Sie, ich wollte unter Zwang geheiratet werden?«
Nun lachte er. »Dem Glück etwas nachzuhelfen hat noch nie geschadet. Ich verspreche Ihnen nichts, aber ich bin ein alter Mann, dem es Spaß macht, Schicksal zu spielen. Mein Rechtsanwalt hält mich für meschugge, weil ich das Testament dauernd ändere, aber mir kommen ständig so nette Ideen. Als Levin meinen Mercedes in Schrott verwandelte, habe ich ihn vorübergehend aufs Pflichtteil gesetzt.«
Seine schön geformte Hand mit den vielen braunen Altersflecken griff nach meiner und hielt sie beschwörend fest.
»Hoffentlich leben Sie noch lange und haben viel Spaß am Testamentändern«, sagte ich ein wenig ironisch. Aber es verdroß ihn nicht.
»Ich sehe, wir verstehen uns. Was halten Sie davon, wenn ich meinen ersten Urenkel zum Erben mache? Dann heiratet Levin mit Sicherheit Hals über Kopf.«
Ich fand das ganz durchtrieben und in meinem Sinne, wehrte aber bescheiden ab.
Levin erzählte ich nichts von diesem Gespräch, der Urenkel war mir peinlich. Andererseits kam es mir nicht verkehrt vor, wenn ein weiser Großvater zu meinen Gunsten Schicksal spielte.
Wenn man Zweifel habe, pflegte Dorit geradeheraus zu sagen: Finger weg. Ich war stets voller Zweifel: Ich entwickelte bei meinen Freunden beschützende und herzliche Gefühle, aber auch eine Art Hörigkeit. Ich war abhängig von ihrer Dankbarkeit, von kleinen Zärtlichkeiten und von dem Bedürfnis, gebraucht zu werden. Dorit sollte nicht denken, daß ich immer an die falschen Männer geriet.
Ich saß bei ihr in der Küche, erzählte von Levin, wie fleißig er studiere, wie treu er seinen Opa versorge und vor allem, wie glücklich ich sei. Dorit hörte zu, putzte dabei Salat, säuberte Sieb und Brettchen und räumte Geschirr aus der Spülmaschine. Schließlich stürzte ihre heulende Tochter
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