Die Apothekerin
herein, und Dorit kam endlich zum Sitzen. Beim Anblick dieses Bildes - ein getröstetes, liebes, zärtliches Kind, das seine Ärmchen um Mutters Hals schlingt, wurde mir wieder einmal bewußt, was ich entbehrte.
»Männer sind Egoisten«, sagte Dorit, »und wir unterstützen diese Eigenschaft, indem wir immer zurückstecken. Du fängst schon vor der Heirat damit an, das ist nicht klug. Er versorgt doch seinen Opa nur, weil er auf die Erbschaft spekuliert - ich weiß es zwar nicht von dir, aber ich habe auch meine Quellen -, er ist nett zu dir, damit er alles kriegt, was du zu bieten hast.«
»Woher weißt du von der Erbschaft?« fragte ich.
»Das ist kein großes Geheimnis. Gero stammt aus Viernheim und kennt die ganze Story vom alten Geizhals Hermann Graber, dem Niedergang seiner Fabrik und der Tragödie mit
dem einzigen Sohn, der unbedingt Organist werden wollte.« Dorits Mann hatte seine Ohren überall, vor allem bei Klatsch und Tratsch um den Geldadel. »Sehr interessant«, sagte ich,
»was hat Gero denn noch erzählt?«
»Der Alte war ein Filou, ließ sich einmal in der Woche mit
dem Taxi nach Wiesbaden ins Bordell fahren. Seine Frau hat
sehr darunter gelitten. Jetzt jammert er ihr nach, obgleich er sie
sicher vorzeitig unter die Erde gebracht hat.«
»Und was weiß man über Levins Mutter?«
»Eine zu kurz gekommene Frau, vielleicht holt sie in zweiter
Ehe etwas nach. Hermann Graber wollte ein gestandenes
Mannsbild als Sohn, nicht einen kränklichen Künstler; die
Schwiegertochter wiederum sollte ihm viele Enkel bescheren,
dann kam aber nur dein Levin, auf den wahrscheinlich alle
Wünsche projiziert wurden. Andererseits hatte er ihn nie als
Fabrikerben vorgesehen, der Betrieb ist bekanntlich längst
verkauft.«
»Dorit, würdest du Levin heiraten?«
»Nein, ich habe doch Gero.«
Wir lachten. Aber dann meinte sie wie immer: »Wenn man
sich nicht sicher ist, dann ist es schon falsch.«
»Ach Dorit, du hast früh geheiratet und immer noch den
Kopf voller Rosinen. Klar ist nichts im Leben, alles hat zwei
Seiten. Aber wenn ich dich mit deinen Kindern schmusen sehe,
dann weiß ich, daß ich es ebenso will.«
»Bitteschön«, sagte Dorit, pflückte das klebrige und
tränenverschmierte Mädchen von ihrem Hals und packte es mir
auf den Schoß. Sarah blieb zwar sitzen, schmiegte sich aber
nicht wie ein krankes Äffchen an mich.
»Tschüs, Dorit«, verabschiedete ich mich schließlich und
steckte ihr noch eine Packung Valium zu, die ich ihr
mitgebracht hatte, »grüß Gero, er soll unbedingt die Ohren
offenhalten, wenn es wieder interessante Neuigkeiten gibt.«
Schon auf der Treppe hörte ich das Telefon läuten. Erregt verlangte Margot nach Levin.
Ich wußte nicht, wann er zu kommen geruhte; ob es Hermann Graber nicht gut gehe?
»Mei libi Fraa«, sagte sie, und ich zuckte zusammen, »sache Se ihm, mei Alder kimmt haam.«
Als Levin kam, richtete ich leicht belustigt die Botschaft aus: »Ihr Vater kommt zurück.«
Levin schüttelte den Kopf. »Jetzt dreht sie durch, sie sieht zu viele Horrorfilme. Ihr Vater steigt nicht mehr aus
seiner Grube.« Er stutzte und vergewisserte sich: »Hat sie wirklich ›Vater‹ gesagt?«
»Sie hat von ihrem Alten gesprochen.«
Er wurde bleich und schlug sich an den Kopf. »Du hast sie gründlich mißverstanden, das ist nicht ihr Vater, sondern ihr Mann!«
»Wie bitte, sie ist verheiratet?«
»Wie du siehst.«
»Und wo war der Mann bis jetzt?« Ich ahnte schon, daß er wohl im Gefängnis gesessen hatte. Natürlich wollte ich wissen, weshalb.
»Weiß ich nicht, geht mich auch nichts an«, log Levin. Dann ging er in sein Zimmer, um anzurufen. Nach zwei Minuten schlich ich hinterher, aber ich hörte nur ein gelegentliches »ach so« und »stimmt genau«.
Margot wohnte gegenwärtig bei Hermann Graber in der Einliegerwohnung, würde sie ihrem kriminellen Mann dort Unterschlupf gewähren? Das durfte ich auf keinen Fall gestatten, weiß der Himmel, was sich dann für ein Gesindel in unserer Villa herumtrieb. Ich bekam eine Gänsehaut. Das Kapitel mit kriminellen, süchtigen und neurotischen Männern sollte ein für allemal abgeschlossen sein. Andererseits konnte man Margot auch nicht Knall auf Fall entlassen, sie hatte sich bis jetzt nichts zuschulden kommen lassen und war trotz Gehaltserhöhung eine billige Arbeitskraft.
Levin kam ziemlich aufgeregt zurück. »Sie hat Angst. Ich weiß aber nicht, wie man ihr helfen kann - was meinst du?« »Kann sie sich nicht scheiden
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