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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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ihn völlig in Beschlag genommen hatte. Dieter vermied es, mir allein zu begegnen. Es kam weder zu einer Aussprache noch zu erneuten Zärtlichkeiten.
    Als Apothekerin machte ich spaßeshalber gelegentlich meinen eigenen Schwangerschaftstest, und das nicht etwa erst, seit ich mit Levin verheiratet war. Kurz vor Weihnachten war es wieder so weit. Der Test fiel zum ersten Mal in meinem Leben positiv aus.
    Natürlich wußte ich, daß im Frühstadium die Fehlerquote hoch war und erst eine Ultraschalluntersuchung Gewißheit brachte. Indessen sagte mir mein Gefühl, daß ich wirklich schwanger war. Ich konnte morgens vor Übelkeit nichts essen; gegen zwölf Uhr bekam ich aber eine derartig starke Lust auf frisches Hefegebäck mit gelbem Pudding und drei Kirschen obenauf, daß ich ohne Mantel - im weißen Kittel - zum Bäcker nebenan flitzte und mir vier Hefeteilchen kaufte.
    War ich schon vorher verwirrt, so wurde ich jetzt verrückt. Von wem war das Kind? Ich bejubelte eine absolut unmoralische Schwangerschaft, vielleicht einem Flittchen wie Margot angemessen, aber doch nicht einer Frau Hella Moormann-Graber. Ich kicherte vor mich hin, heulte im Auto, hätte es gern der ganzen Welt verraten, und wollte doch vorläufig schweigen.
    Die Frage war, ob ich dieses ersehnte Kind von zwei fragwürdigen Vätern behalten sollte. Auch früher hätte ich bereits Gelegenheit gehabt, ein Kind ohne Ehemann zu bekommen - und hatte es aus Verantwortungsbewußtsein verhindert (übrigens nicht ganz pedantisch, sonst hätte sich so mancher Test erübrigt). Jetzt hatte ich einen überzähligen Papa, und es war wieder nicht recht.
    Wie gern hätte ich mit Dorit über meine Schwangerschaft gesprochen, aber es schien mir noch zu früh. Nur Tamerlan bot sich als Psychiater an, und ich nahm seine Dienste häufig in Anspruch. Vorsichtshalber trank ich keinen Schluck Alkohol, preßte mir Orangen aus (und erbrach) und machte lange Spaziergänge an der frischen Luft.
    ›Dem ersten Lebewesen, das mir zu Hause begegnet, muß ich mein Geheimnis verraten‹, dachte ich endlich wie unter neurotischem Zwang. Im Märchen hatte man an Katze oder Hund gedacht; ich stellte mir einen der Männer vor, und es war doch nur Tamerlan, der mir um die Beine strich. Der Porsche stand vorm Haus, aber weder Levin noch Dieter waren zu sehen. Ich stieg die Treppe hinauf, auch die obere Wohnung war leer. Schließlich nahm ich allen Mut zusammen und betrat die Mansarde. Levin stand am bewußten Fenster und weinte.
    Leise trat ich neben ihn und legte meinen Arm um seine Taille. Weinende Männer lassen mich schmelzen wie Schokolade im Wasserbad. »Sie hat nicht gelitten«, sagte ich, »sie hat sofort das Bewußtsein verloren.«
    Levin reagierte nicht darauf. Er schneuzte sich kurz. »Wo ist mein Hirsch?« fragte er.
»Wer?« fragte ich verunsichert.
Wie sich herausstellte, meinte er jene klobige Garderobe mit den geschnitzten Auerhähnen und Hirschen, die das junge Paar davongetragen hatte. Seine Großmutter hatte ihm deretwegen immer Geschichten über die Tiere des Waldes erzählt, klagte er. Ich tröstete ihn und verschwieg ihm meine Mutterfreuden.
    Frau Hirte gluckste: »Morgen höre ich, welcher der Platzhirsch wurde, nicht wahr?«
13
    Eigentlich ist Rosemarie keine schlechte Bettnachbarin; wenn ich an die weinerlichen Frauen denke, die ich auf dem Flur antreffe, dann habe ich sogar das große Los gezogen. Es tut mir leid, daß ich anfangs etwas auf sie herabgesehen habe.
    Sie scheint viel in der Natur unterwegs zu sein, entweder mit fremden Hunden, oder sie fährt diesen Mann im Rollstuhl spazieren. Dabei hat sie sich zu einer Hobby-Ornithologin herangebildet und kennt sich unter den paar Vögeln, die noch unsere Wälder bewohnen, bestens aus. Neulich berichtete sie mir, daß vor hundert Jahren ein Spinner alle Vögel, die in Shakespeares Gesamtwerk vorkommen, in Nordamerika ansiedeln wollte; seitdem gibt es dort Stare.
    Aber ich konnte ihr natürlich Interessanteres mitteilen, zum Beispiel von meiner Schwangerschaft.
    Bald war Weihnachten, ich erwartete ein Kind und konnte eine lang verdrängte Gier nach Kitsch und Sentimentalität endlich zulassen. Ich hatte den Christbaumschmuck meiner Großeltern geerbt, weil meine Mutter ihre eigene Vorstellung von modischen Bäumen mit rosa oder lila Schleifen verwirklichte. Zum ersten Mal öffnete ich die kleine Kiste voll mit brüchigem Lametta, Engelshaar, gläsernen Glocken, wachsverklebten Kerzenhaltern, hölzernen Teddybären,

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