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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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vor Ladenschluß eintrat. Er schien diesmal etwas zugänglicher zu sein.
    »Wie geht es Ihrer Frau?« fragte ich kühn.

    Er sah mich wachsam an. »Sie ist vorübergehend im
    Krankenhaus.«
›Es gibt Menschen, die sind schlimmer dran als ich‹, kam
mir in den Sinn. Wie er es schaffe, berufstätig zu sein und die
kranken Kinder zu versorgen, fragte ich mit einem Blick auf
das Rezept, auf dem er einen Doktortitel hatte.
Er war Lektor in einem wissenschaftlichen Verlag und
konnte einen Teil seiner Arbeit zu Hause erledigen. »Mit dem
Haushalt werde ich gut fertig«, sagte er nicht ohne Stolz, »nur
selten gibt es da Probleme.« Übrigens müsse er sich
entschuldigen, daß er meinen Namen vergessen habe, obgleich
er schon bei mir zu Hause gewesen sei.
Das konnte ich verstehen. »Moormann, Hella Moormann«,
sagte ich, »oder noch richtiger: Hella Moormann-Graber.« Das erinnere ihn an meine Heiratsanzeige in der Zeitung.
»Meine Frau hat damals gesagt: ›Ein Totengräber heiratet eine
Moorleiche‹«, sagte er lustig.
Fast tat es mir leid, daß er von meiner Heirat wußte. Über
seine Frau ärgerte ich mich: die saß im Irrenhaus, ließ ihren
Mann den Haushalt versorgen und machte dumme Witze über
Moorleichen.
Ich begann die Apotheke zu schließen. »Mein Mann, der
Totengräber, wartet sicher schon ungeduldig auf seine
Moorleiche«, sagte ich mißmutig.
Pawel Siebert sah, daß ich seinen Scherz nicht gut
aufgenommen hatte. Bedauernd blickte er mich an, und
plötzlich war klar, daß wir uns mochten.
    Auf dem Heimweg überfiel mich die Angst in so starker Form, daß ich am liebsten wieder in meine schützende Apotheke zurückgefahren wäre. Wie hatte Levin das Testament aufgenommen?
    Mein Gatte erwartete mich mit ernstem und tief gekränktem Ausdruck. Das Testament lag vor ihm. »Soll das ein Scherz sein? Wenn ja, dann ist es ein schlechter.«
    »Das habe ich von deinem Großvater gelernt«, sagte ich. »Es lohnt sich nicht, mich umzubringen, denn du gingest dabei leer aus.«
    Levin sah mich mit offenem Mund an. Jetzt erst begriff er und war aufs äußerste verletzt. »Bist du wahnsinnig geworden? Ich gebe mir alle Mühe, dir Liebe und Zärtlichkeit zu zeigen, und du glaubst allen Ernstes, ich wollte dich abmurksen! Auf dieser Basis können wir nicht zusammenbleiben. «
    Nun tat er mir leid, und ich bereute. Es stimmte tatsächlich, daß er seit seiner Reise netter geworden war. Aber ich gab nicht klein bei.
    »Warum bin ich euer Rauschgiftengel?« fragte ich. Wie hätte ich das nur ernst nehmen können, ein kleines
    Wortspiel, zwei angetrunkene Männer…
»Ich habe es sehr ernst genommen, ihr habt mit meinem
Geld irgendein schmutziges Geschäft gemacht«, sagte ich. »Ihr
wollt euch am Elend und Tod junger Menschen bereichern.« Nun wurde Levin böse. »Wieso dein Geld?« fuhr er mich an.
»Es ist nie dein Geld gewesen, jeder Pfennig stammt aus
meiner Familie. Angenommen ich wäre wirklich ein Unhold,
dann könnte ich dich jetzt foltern und zwingen, vor meinen
Augen ein neues Testament zu machen. Und damit hättest du
dein Todesurteil unterschrieben.«
»Ich bin weder alt und krank, noch habe ich eine
Zahnprothese. Da müßtest du dir schon etwas Besonderes
einfallen lassen, um nicht als Mörder verurteilt zu werden.« Man sah Levin an, wie es in seinem Kopf arbeitete. »Du
kannst aus einem Mansardenfenster stürzen; Selbstmord wegen
schwerer Depressionen.«
»Das nimmt dir keiner ab«, sagte ich, »noch nie im Leben
war ich depressiv, das können alle meine Freunde bezeugen.« »Ich ließe dich einen Abschiedsbrief schreiben«, sagte
Levin, »der deine Freunde überzeugen müßte.«
Haßerfüllt starrten wir uns an. Ich war völlig fertig. Da mir
nichts mehr zu diesem Thema einfiel, fing ich an zu heulen.
»Ich kriege ein Kind«, schluchzte ich.
»Was kriegst du? Deine Tage kriegst du wahrscheinlich, ich
weiß doch, wie hysterisch du dann bist.«
Ich lief ins Schlafzimmer, um auf meinem Bett
weiterzuweinen. Kurze Zeit später hörte ich die Haustür
zuknallen und den Porsche davonbrausen.
Levin kam die ganze Nacht nicht nach Hause.
    Am nächsten Morgen waren Roß und Reiter immer noch verschwunden. Im Morgenmantel ging ich in die Küche und setzte Wasser auf. Ohne Publikum verlor ich die Lust am Weinen. Gerade als ich meinen Kamillentee ins Spülbecken spuckte, trat Dieter ein. Ich wischte mir den Mund mit Küchenpapier ab und setzte mich schwer atmend an den Tisch. Dieter sah mich prüfend an. Wir wurden beide

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