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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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gutzumachen, sagte Levin und schenkte mir ein Glas Sherry ein.
    Nach einem anstrengenden Arbeitstag und einer längeren Fahrt durch grauen Novembernebel in eine warme Stube zu kommen, ist natürlich immer etwas Schönes. Oft hatte ich andere auf diese Weise empfangen, selten wurde es mir zuteil. Der köstliche Sherry tat gut auf den leeren Magen, und ich sah Levin gleich ein bißchen interessierter an. Der ölige Bronzeton seiner Haut war fast so appetitanregend wie der Essensduft.
    »Dieter sitzt noch in der Badewanne, er wollte eigentlich nicht beim Essen dabeisein, aber ich denke, du hast nichts dagegen«, sagte Levin.
    Ich schüttelte benommen den Kopf und ließ mir das Glas ein zweites Mal füllen. Auf meinem Platz lagen hübsch verpackte Geschenke. ›Gleich werde ich mit Liebhaber und Ehemann an einem Tisch sitzen‹, dachte ich, ›Levin scheint nichts zu ahnen…‹
    Bevor ich mir noch diese Situation vorstellen konnte, kam Dieter herein und sah fast ebenso verführerisch braungebrannt wie Levin aus. Beide waren bester Laune. Dieter küßte mich auf die Wange und sah dann im Backofen nach dem Filet Wellington. »Gleich fertig«, sagte er, »ich hoffe, du hast Hunger!«
    Was führten sie nur im Schilde?
Wir aßen und tranken, lachten und scherzten, und es wurde ein hinreißender Abend. Natürlich war es ein Genuß, zwischen zwei vergnügten Männern zu sitzen, die mir beide Komplimente machten und haarsträubende Geschichten erzählten. Ich packte meine Geschenke aus. Orientalische Süßigkeiten, Rosenöl, zu eng geratene spanische Stiefeletten und ein antiker Silberleuchter. Levin gab gerne Geld aus.
Von Dieter bekam ich ein marokkanisches Kelimkissen, das vorzüglich in den Ledersessel meines Großvaters paßte. Es war wie Weihnachten. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen.
So viele schöne Gaben von meinem Geld! Ein bißchen habe ich mich betrunken und wurde rührselig. Es war wohl Zeit, schlafen zu gehen, bevor der schöne Abend in Geflenne endete.
Alles drehte sich. Hatten sie mir irgend etwas in den Sekt gemischt? Wohl kaum, denn Levin kam schon bald ins Schlafzimmer und nahm mich mit nie bewiesener Leidenschaft an die braungebrannte Männerbrust. Ich muß gestehen, daß meine Absicht, nur noch mit Dieter zu schlafen, in diesem Augenblick vergessen war.
    Am nächsten Morgen hatte ich einen Kater, aber das war leider kein Grund, der Arbeit fernzubleiben. Die beiden Männer schliefen. Mit einem dicken Brummschädel saß ich in der Küche und schlürfte starken Kaffee. Meine Situation war wieder völlig verworren. Bei meinem Katerfrühstück saß Margot wie ein Geist neben mir und sagte, früher sei sie unter den beiden Freunden aufgeteilt worden, jetzt käme ich an die Reihe.
    Voller Zweifel setzte ich mich ins Auto. Jetzt im Winter war es um sieben noch dunkel, überall standen elektrisch beleuchtete Tannenbäume in den Vorgärten. Als Kind hatten sie mich an die kommenden Weihnachtsferien denken lassen und mir den dunklen Schulweg erleichtert. Doch mittlerweile fuhr ich seit Jahren an den Feiertagen nur ungern nach Hause und überließ diesen Dienst lieber meinem Bruder, der unseren Eltern immerhin ein Enkelkind präsentieren konnte. Dieses Jahr würde ich mit zwei kriminellen Männern feiern, nicht etwa im Kreise einer eigenen kleinen Familie. Ich war keinen Schritt weitergekommen.
    Auch am nächsten Abend war Levin lieb und aufmerksam; wir waren allein. Vorsichtig fragte ich, ob das Geld gereicht habe.
    Levin musterte mich aufmerksam. »Wir haben es zum Glück nicht völlig für den Freikauf ausgeben müssen, sonst hätten wir ja nichts für die Rückfahrt und die paar Urlaubstage gehabt.«
    Ganz harmlos stellte ich einige Fragen über das Untersuchungsgefängnis, denn es kam mir immer unwahrscheinlicher vor, daß man wegen eines Verkehrsunfalls eingesperrt wird.
    Levin erzählte, daß er beinahe von den Angehörigen der verletzten Frau gelyncht worden sei, die Polizei habe ihn vor dem wütenden Mob gerade noch retten können.
»Wie alt war die Frau?« fragte ich.
»Vielleicht dreißig.«
Dieter hatte von einer alten Frau gesprochen, das war die
    erste Ungereimtheit. Die zweite war, daß Levin wesentlich intensiver gebräunt war als Dieter. Ich äußerte meine Zweifel nicht. Vielleicht waren meine Ängste ja absurd. Beide Männer verhielten sich reizend. Seit Margot nicht mehr da war - über die wir im übrigen nie sprachen -, hatte sich auch Levins sexueller Appetit verbessert. Es war klar, daß sie

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