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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Abend Nürnberger Elisenlebkuchen. Endlich hatte ich einen Mitwanderer durch den Odenwald und die Pfalz. Am schönsten waren die rebenbewachsenen Höhenwege, die im Norden nach Heppenheim, im Süden nach Schriesheim führten. Fasanen schreckten aus Brombeergesträuch auf, Quitten, die hier gut gediehen, verfaulten in den Schrebergärten und verbreiteten ihren unwiderstehlichen Duft, Efeu rankte um Obstbäume, und die neblig-trüben Tage waren so märchenhaft und verzaubert, wie es der Sommer niemals bieten konnte. Einmal bummelten wir über den Heidelberger Weihnachtsmarkt, rösteten zu Hause die gekauften Maronen und spielten Schach. Obgleich Dieter die Kastanien und selbstgebackenen Plätzchen allein essen mußte - ich blieb vorsichtshalber bei frischen Hefeteilchen und eisiger Cola -, war es eine kurze Zeit wunderbaren Friedens. Ich wußte genau, daß sie nicht von Dauer sein konnte.
    Fast jeden Tag beschwor mich Dieter, ich müsse mich scheiden lassen: Es sei sein Kind und nicht Levins. Im Gegensatz zu mir schien er über alle Zweifel erhaben.
    In der Zeitung hatte ich zufällig gelesen: Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten ist ausgeschlossen, wenn der Erblasser vor seinem Tod die Scheidung bei Gericht beantragt hat und dem Ehepartner die Klage bereits zugestellt wurde.
    Wahrscheinlich hatte Dieter die nämliche Auskunft eines Experten studiert und wußte somit, daß der Ehegatte seine verstorbene Frau nicht beerbt, wenn zum Zeitpunkt des Todes die Scheidungsklage bei Gericht bereits eingereicht ist. Ich musterte ihn scharf. Wollte er selbst mein Erbe werden?
    Plötzlich konnte ich mich nicht mehr beherrschen. »Ihr habt nur die Hälfte des Geldes verbraten«, sagte ich, »warum hast du mich belogen?«
    Dieter wurde blaß. »Hat Levin das gesagt?« fragte er unsicher.
»Ja«, log ich.
Meine Dollars habe er zur Hälfte für mich aufbewahrt, sagte er.
»Warum hast du sie mir dann überhaupt abgeknöpft?«
»Levin wollte es, er hat Schulden bei mir.«
»Aber Levin hat doch eigenes Vermögen!«
Große Verlegenheit. »Ich verspreche dir, Hella, daß ich mich nicht mehr von ihm beeinflussen lasse, ich war von Anfang an dagegen, von dir Geld zu verlangen.« Diensteifrig rannte er los und holte die Dollars.
»Geld ist kein Thema«, sagte ich und zählte aus pädagogischen Gründen nach, »ich hasse es aber, wenn man mich betrügt.«
Dieter nickte. »Ab jetzt fängt ein neues Leben an«, sagte er, »ich bin auch nicht scharf auf Geld, von mir aus kannst du Levin bei der Scheidung alles geben.«
»Ich denke gar nicht daran«, sagte ich; »aber davon abgesehen, kann ich ihn — wenn er vom Totenbett seiner Mutter kommt - doch nicht mit der Neuigkeit empfangen, daß du der neue Ehemann und außerdem der Kindsvater bist. Sonst tut er sich am Ende noch selbst etwas an!«
Während wir über ihn redeten, rief Levin zu allem Überfluß erneut an und war verzweifelt. Es war zum Steinerweichen. »Das Schlimmste aber ist«, brachte Levin am Ende schluchzend hervor, »daß ich meiner Mutter nicht mehr sagen kann, daß wir glücklich verheiratet sind und ein Kind erwarten!«
    In zwei Tagen war Weihnachten. Dieter hatte eine kleine Tanne gekauft, er freute sich auf das Fest. Noch nie habe er es so gut gehabt, sagte er, ein behagliches Heim, eine liebe Frau, die Aussicht auf ein Kind. Mit seinen früheren Bekannten aus der Dealerzeit habe er endgültig gebrochen. Durch mich sei er ein anderer Mensch geworden.
    Dorit hatte in diesen Tagen wenig Zeit. Bei zwei kleinen Kindern haben die Weihnachtsvorbereitungen einen anderen Stellenwert. Beim Telefonieren war sie atemlos und gehetzt, es hatte wenig Sinn, ihr jetzt die Sache mit den zwei Vätern zu erläutern. Aber Levins Klagen brachten mich auf die Idee, meine eigenen Eltern anzurufen und ihnen mitzuteilen, daß sie im nächsten Jahr mit Großelternfreuden rechnen konnten.
    »Wir warten schon lange auf diese Nachricht«, erwiderte meine Mutter. »Schließlich bist du seit über einem halben Jahr verheiratet.«
    Ich beherrschte mich. »Also habe ich einmal im Leben eure Erwartungen erfüllt«, sagte ich nur.
Mein Vater riß das Gespräch an sich, er hatte mitgehört. »Hoffentlich geht alles gut«, sagte er.
Auch dieser fromme Wunsch kränkte mich. »So alt bin ich nun auch wieder nicht, ich kann in zehn Jahren immer noch Kinder kriegen«, behauptete ich.
»Es war nicht auf dein jugendliches Alter gemünzt«, sagte Vater charmant, »sondern auf deinen jugendlichen Ehemann.«
Ich legte

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