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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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erstbesten
Weihnachtskugel griff und sie gegen das große
Wintergartenfenster schmetterte.
Levin erstarrte, ich ließ meinen Lebkuchen fallen.
Aber Dieter war noch nicht fertig. Eine Kugel nach der
anderen flog gegen die Scheibe und zerschellte in funkelnde
Splitter.
Ich wollte Dieter daran hindern, aber Levin hielt mich fest.
Leise sagte er: »Am besten wir verschwinden, er wird jetzt
unberechenbar!«
Mir war es nicht recht, Dieter mit dem brennenden Baum
allein zu lassen, aber Levin zog mich ins Schlafzimmer und
schloß ab. Darüber hinaus rückte er die Kommode vor die Tür
und errichtete eine regelrechte Barrikade. Ich schwitzte Blut
und Wasser. »Er wird uns doch nichts tun«, flüsterte ich. Levin schien sich keine Gedanken darüber zu machen,
warum Dieter so tobte, während ich es nur allzugut wußte. Wir
hörten gotteslästernde Flüche und schließlich ein splitterndes
Geräusch und nicht enden wollendes Klirren. Ich ahnte, daß
eine der großen Scheiben im Wintergarten zu Bruch gegangen
war. Als es längere Zeit still blieb, schlichen wir hinaus. Dieter
war nicht mehr da. Aber im Wintergarten sah es aus wie auf
einem Schlachtfeld. »Wir müssen die Pflanzen sofort in die
warmen Räume bringen«, sagte ich, »sie erfrieren bei diesen
Temperaturen.«
Der Rest der Heiligen Nacht verging damit, Kübel und Töpfe
zu schleppen, wobei Levin von keinerlei Zweifeln geplagt
wurde, ob mir das Tragen gut tat. Schließlich kehrten wir die
Splitter und Scherben zusammen, und Levin versuchte, das
große Loch notdürftig mit Plastiksäcken und Pappstücken zu
verschließen. Wind und Regen wurden zwar provisorisch
abgehalten, aber für einen Einbrecher war es ein leichtes
hineinzuspazieren. Wie sollte man am 25. Dezember einen
Glaser finden? Wir vertagten das Problem und gingen zu Bett.
Levin schlief sofort ein, während ich vor lauter Zorn und
Erschöpfung nur noch ein tränenloses Schnauben von mir gab.
    Als der Morgen dämmerte, dämmerte es auch mir, daß ich nicht unschuldig an diesem Desaster war. Es half wohl nichts, ich mußte mich für den einen oder den anderen Vater entscheiden. Nach Dieters Tobsuchtsanfall fragte ich mich, ob er der Begünstigte sein konnte, er hatte sich disqualifiziert. Und wie würde er bei einer Absage reagieren? Ich wagte nicht, es mir vorzustellen.
    Tamerlan sah mich an diesem ersten Feiertag vorwurfsvoll an: Nichts war am gewohnten Platz, überall standen Pflanzen in großen Töpfen im Wege. Da mir sonst niemand zuhörte, hielt ich meinem Kater eine Rede. »Wärst du ein Hund«, so sagte ich, »dann würde ich dich jetzt auf einen langen Spaziergang mitnehmen; außerdem könntest du nachts aufpassen, daß keine Diebe bei uns einsteigen. Auf die Männer ist ja leider kein Verlaß.«
    Beide schliefen. Ich trank Tee und aß eine Schnitte, wider Erwarten ohne Brechreiz. Dann zog ich mich warm an und setzte mich ins Auto. Ich fuhr ein Stück in den Odenwald hinaus und machte - in großer Einsamkeit -einen langen Wintermarsch, um meinen Kopf zu lüften. Aber bedeutsame Entscheidungen konnte ich auch mit klarem Kopf nicht treffen, ich beschimpfte Dieter und schalt Levin ein Muttersöhnchen. »Wichtig bist nur du«, sagte ich zu meinem Kind.
    Als ich mit roten Backen und warmen Füßen endlich wieder zu Hause war, lag ein Zettel von Dieter auf dem Tisch:
    »Um drei Uhr kommt ein Glaser zum Ausmessen.« Außerdem hatte er - denn Levin schied aus - die gefährlichen Zacken der Fensterscheibe herausgeschlagen und sämtliche Splitter von Christbaumkugeln und Fensterglas in die Mülltonne befördert.
    Levin kam aus dem Bett. »Entschuldige, Schatz«, sagte er. »Ich mußte einiges an Schlaf nachholen.«
»Ist schon gut.«
»Kannst du dich erinnern, was Dieter eigentlich so in Wut gebracht hat?« fragte er.
Ich schüttelte den Kopf.
Levin verlangte nach Kaffee. Ich setzte Wasser auf und sah, daß Dieter die gefrorene Gans in der Nähe des Herdes deponiert hatte; da sie aber mindestens vierzehn Stunden zum Auftauen brauchte, würde es wohl heute nichts mit dem Festessen.
»Wo ist Dieter überhaupt?« fragte Levin.
Ich wußte es auch nicht.
    Der Glaser kam, schüttelte mißbilligend den Kopf und dachte sich seinen Teil. »Und das am ersten Feiertag«, murrte er, »wie kann so etwas passieren, da ist doch ein Kraftakt nötig!«
    Ich sah den klugen Mann nachdenklich an. Er hatte recht, durch eine hauchzarte Weihnachtskugel konnte eine Scheibe nicht zu Bruch gehen. Dieter mußte Hermann Grabers

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