Die Apothekerin
Abendessen, das wir beim Schein der Adventskerzen einnahmen, seufzte Dieter tief und einleitend, so daß ich fragen mußte: »Was ist?«
»Es ist nicht einfach für mich mitanzusehen«, sagte Dieter mit seiner freundlichen, nun traurig-belegten Stimme, »wie du mit Levin glücklich bist; die Tage mit mir sind anscheinend vergessen.«
Ich beteuerte das Gegenteil.
Persönliche Gefühle seien nicht vorrangig, sagte Dieter, es gehe jetzt nur noch um das Wohl des Kindes. Dabei sah er mich mit einem solchen Leidensblick an, daß ich ihn spontan umarmte.
»Wir sind ein paar Tage allein«, begann ich, »ich habe Urlaub…« Ich kam mir reichlich frivol vor.
»Du bist schwanger«, sagte Dieter mahnend.
Mich ritt der Teufel. »Das Kind ist von dir«, sagte ich.
Dieter wußte sich richtig zu benehmen: Er umarmte und küßte mich und zeigte herzliche Freude. »Wann wirst du es Levin sagen?« fragte er.
»Im Augenblick geht das wirklich nicht«, wehrte ich ab, »seine Mutter liegt womöglich im Sterben.«
An diesem Abend ging ich mit Dieter und dem eifersüchtigen Tamerlan ins Bett. Ich wunderte mich über mich selbst, aber es war einfach wunderbar.
14
Rosemarie kapierte einiges nicht. Wie das mit den Kindern sei, die mitunter in unser stilles Zimmer poltern, wer gehöre zu wem?
Dorit habe zwei Kinder, erklärte ich, Franz und Sarah, die in etwa gleichaltrig mit Pawels Kindern seien - Kolja und Lene.
»Was für Namen«, maulte Rosemarie, »aber das ist ja nicht der Punkt. Kolja und Lene sind also die Kinder von Pawel und der wahnsinnigen Alma, stimmt’s?«
Ich nickte.
» Und der Kleinste, diese Nervensäge?«
»Der heißt Niklas.«
Sie knurrte: »So ein Kuddelmuddel! Willst du einen Spritzer
Parfüm? Erzähl endlich weiter.«
Als Levin aus Wien anrief, schluchzte er laut. Seine Mutter war nicht mehr bei Bewußtsein, die Prognose ungünstig. Nur für wenige Minuten ließ man ihn auf die Intensivstation. Ich versuchte zu trösten und Mut zu machen, aber ich konnte nachvollziehen, daß ihn meine Worte in einer solchen Situation gar nicht erreichten.
Wenn ich am Anfang unserer Freundschaft versuchte, etwas aus Levin herauszukitzeln, dann gelang es mir meist, denn im Grunde war er ein Kind, das gern seine Geheimnisse verriet. Nur über Männerangelegenheiten verriet er nichts. Dieter war anders, ein konsequenter Schweiger. Ich erfuhr kaum etwas über seine Familie. »Wie viele Geschwister hast du?« fragte ich. »Zu viele.«
»Leben deine Eltern noch?«
»Wenn sie nicht gestorben sind…«
Während wir zärtlich aneinandergeschmiegt auf dem Sofa lagen, versuchte ich trotzdem, etwas über Dieters Vergangenheit zu erfahren. »Zufällig habe ich gehört, daß du wegen Körperverletzung vorbestraft bist«, sagte ich vorsichtig und kuschelte mich noch dichter an ihn.
»Hm«, sagte Dieter. .
»Zweimal zugeschlagen«, gab er schließlich zu. Ich erschauerte wohlig.
Beim ersten Mal hatte ihn ein Junkie verpfiffen. In diesem Zusammenhang gab Dieter seine Dealer-Vergangenheit zu. Anscheinend hatte er seinem Opfer mehr als eine blutige Nase verpaßt. Die Beichte des zweiten Schlags wurde ihm zur Qual. Wie ich bereits wußte, war Margot schwanger gewesen und mit Dieter verheiratet. Er freute sich nicht auf dieses Kind, sperrte Margot ein und wachte darüber, daß sie keine Möglichkeit hatte, Heroin zu besorgen. Eines Nachts hatte sie sich aus dem zweiten Stock abgeseilt und war verschwunden. Nach Tagen fand er sie auf dem Frankfurter Westend-Strich. Dieter las sie auf, brachte sie nach Hause und prügelte sie krankenhausreif. »Aber am Bauch war nichts«, sagte Dieter, »darauf habe ich geachtet.«
Das verstand ich nicht. »Wie kann man vor Wut ausrasten und dabei gleichzeitig den schwangeren Bauch schonen?«
»Das weiß ich auch nicht«, sagte Dieter zahm.
Sie habe nicht mehr gefixt, aber er habe weiter gedealt, stellte ich fest.
Wenn man einmal im Geschäft sei, könne man nicht so ohne weiteres aussteigen.
»Was habt ihr in Marokko gekauft?«
»Nur ein bißchen Shit, ehrlich. Kein Gramm Heroin, das kriegt man dort doch gar nicht.«
Immerhin erfuhr ich, daß ihm Margot ein Alibi für seinen einzigen großen Coup verschafft hatte; für die Falschaussage forderte sie kein Geld, sondern Heirat.
Nun hätte ich gern nach der Hälfte meiner Dollars gefragt, aber ich traute mich nicht.
Es folgten ein paar beschauliche Tage. Wir hörten gemeinsam das Weihnachtsoratorium in der Weinheimer Markuskirche und buken hinterher noch spät am
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