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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Patriarch, hat den Braten selbst geschnitten.«
    Und schon schüttelte er mißbilligend den Kopf, das Messer war ihm zu stumpf. Seit seiner abgebrochenen Ausbildung als Zahnmediziner war Levin Präzisionsinstrumente gewohnt. Er holte einen Wetzstahl, den er profimäßig handhabte. »Roastbeef muß hauchdünn geschnitten werden«, dozierte er.
    Mir war es recht, daß er auch etwas zu tun fand.
    Levin begann mit unserem rosa Anteil, schnitt kunstvoll die erste Scheibe ab und legte sie mir auf den Teller.
Dieter sah angewidert beiseite, roter Fleischsaft lief auf die Platte, auf der auch sein durchgegartes Bratenstück ruhte. »Ihr Kannibalen«, sagte er.
Dann begannen wir zu essen, lobten uns gegenseitig für die vorzügliche Zubereitung, tranken uns zu und versuchten, aufkommende Animositäten zu überspielen.
»Seht mal hinaus!« rief ich, »es schneit!«
Was uns an Weihnachten entgangen war, sollte uns nun das neue Jahr bringen. Aus dem dschungelhaften Wintergarten, dessen Lichtschein in den Garten drang, sah man hinaus in weiße Flocken, die gleichmäßig und unaufhörlich zur Erde wirbelten.
Levin, das große Kind, freute sich. »Ein Symbol«, sagte er, »das neue Jahr fängt unschuldig wie ein Neugeborenes an, in schneeweiße Windeln gehüllt. Aller Schmutz auf Erden wird zugedeckt.«
»Blödes Geseich«, sagte Dieter.
Wir sahen ihn erschrocken an.
»Wenn das kommende Jahr ein neuer Anfang werden soll«, knurrte Dieter, »dann wäre kurz vor zwölf der richtige Moment, um endlich Tabula rasa zu machen!«
Meinte er mich?
Levin stellte sich unschuldig. »Den Tisch decke ich schon ab, aber vorher gibt es meinen delikaten Obstsalat. Danach mache ich Tabula rasa.«
Keiner lächelte.
Ich versuchte, unter dem Tisch Dieters Hand zu erwischen, aber er entzog sie mir mit einer heftigen Bewegung. »Du weißt genau, was ich meine«, sagte er.
»Weiß ich nicht«, sagte Levin unsicher.
Mir wurde angst und bange, ich begann, Teller einzusammeln.
»Warte«, sagte Levin, »ich wollte gerade noch ein Stück Roastbeef pur essen!« Er nahm das scharfe Messer in die Hand.
Dieter fuhr unbeirrt fort: »Du hast es mit Margot getrieben.«
Keine Antwort. Levin tat, als ob er sich mit äußerster Konzentration ein hauchdünnes Scheibchen Fleisch absäbelte, aber seine feinen Hände zitterten.
»Antworte gefälligst«, brüllte Dieter.
Levin hielt mit dem Schneiden inne und steckte sich ein winziges Stück mit der großen Fleischgabel in den Mund. Ich mußte an Margot und den Schweinemann denken. »Was willst du von mir?« fragte er.
»Du sollst es zugeben…«, sagte Dieter.
»Was?« fragte Levin hinhaltend.
»Ich weiß es von meinem Bruder.«
Levin zuckte mit den Schultern. »Wir kennen Margot«, sagte er, »sie wollte, nicht ich.«
Das mochte sogar stimmen, aber Dieter fuhr drohend fort: »Punkt zwei: Du mußt dich scheiden lassen.«
Erst jetzt geriet ich in Panik, denn bisher hatte ich mich heraushalten können.
Levin entrüstete sich: Wir erwarteten schließlich ein Kind; Dieter solle froh sein, daß ich diese geschmacklosen Beschuldigungen ohne hysterischen Anfall aufgenommen habe.
»Das Kind ist von mir«, sagte Dieter, »das Verkorkste war sicher deins. Wir sind quitt, wenn du mir Hella abtrittst.«
Levin fiel das Messer aus der Hand. Er erwartete auf der Stelle ein Dementi von mir. Ich schlotterte vor Angst. Auf keinen Fall wollte ich dem tobsüchtigen Dieter sozusagen als Ersatz für Margot überlassen werden. Ich heulte los, was das Zeug hielt, damit ein Verhör nicht in Frage kam.
»Du bist verrückt«, sagte Levin mutig, »das Kind ist hundertprozentig von mir. Hella, sag’s ihm!«
»Wenn dir Hella die Wahrheit sagt, wirst du ganz klein und häßlich«, sagte Dieter. »Sie wollte dich nach dem Tode deiner Mutter schonen, sonst hätte sie längst die Katze aus dem Sack gelassen!«
Levin schüttelte mich, als wäre ich der Sack. »Nun rede endlich! Sag ihm, daß er wahnsinnig ist!«
Aber aus mir war kein verständliches Wort herauszuschütteln.
»Hau ab, Mistkerl!« rief Levin haßerfüllt, »du bringst nur Unfrieden in mein Haus! Geh zurück in die Gosse, wo du hingehörst!«
Dieter holte aus. Mit einem gewaltigen Faustschlag streckte er meinen langen, aber zierlichen Ehemann nieder. Blut quoll aus Levins Mund, und Dieter wurde schlecht bei diesem Anblick. Ich ging Richtung Telefon, um die Polizei anzurufen.
Als Levin Blut und Zähne spuckte, und dazwischen »Krankenhaus« ausstieß, bestellte ich nur einen

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