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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Rotkreuzwagen.
Dieter erbrach sich in meine Edelstahlspüle. Er kam nicht wieder aus der Küche heraus.
Aus dem Bad brachte ich warmes Wasser und Handtücher. Levin stöhnte laut. In diesem Augenblick läuteten die Glocken das neue Jahr ein.
Ich saß am Boden, hielt Levins Kopf hoch, damit er das Blut nicht schluckte, und versuchte, durch Aufpressen nasser Tücher die Blutung zum Stillstand zu bringen. Zum Glück hörte ich schon bald die Sirene des Krankenwagens.
Mit grünem Gesicht betrat Dieter die Bühne. »Sie kommen«, sagte er, »ich verschwinde. Du darfst auf keinen Fall verraten, wie es passiert ist!«
Ich protestierte. »Ich muß die Wahrheit sagen…«
»Das hättest du vorhin tun sollen«, sagte Dieter. »Erzähl ihnen, Levin sei auf der Speckschwarte ausgerutscht und habe sich das Gesicht am Herd aufgeschlagen.«
Ohne Mantel schlüpfte er durch die Wintergartentür und verschwand im Schneetreiben. Ich mußte Levin verlassen, um den Sanitätern zu öffnen. Auf dem Weg zur Haustür machte ich blitzschnell einen Umweg über die Küche und stellte Dieters Gedeck in die Speisekammer.
Die Männer fackelten nicht lange, legten einen Notverband an und hoben Levin auf die Bahre. Trotz der Eile wollten sie wissen, wie es geschehen sei.
»Ein Unfall«, sagte ich gehorsam, »er ist ausgerutscht und mit dem Kopf gegen den Herd gefallen.«
Einer der Männer sah mich scharf an. »Warum liegt er dann nicht in der Küche?« fragte er.
»Er ist noch bis hierher getaumelt, bevor er in die Knie ging«, versicherte ich. »Die Blutspur habe ich bereits aufgewischt.«
»Typisch Hausfrau«, sagte der Sanitäter, »der Mann verblutet fast, und die Frau putzt erst einmal den Boden!«
    Das Bild vom kreidebleichen, blutverschmierten Levin ging mir nicht aus dem Sinn. Wie klein war sein Gesicht, wie riesig war Dieters Faust gewesen. Um mich erst einmal abzulenken, mühte ich mich mit dem Fußboden, deckte den Tisch ab, stellte den Obstsalat kalt und räumte die Reste weg.
    Als Küche und Wintergarten in etwa wieder ordentlich waren, ließ ich mir die Badewanne vollaufen, schüttete ein beruhigendes Tonikum hinein und stieg ins warme Wasser.
    Endlich kam ich zum Nachdenken. ›Hauptsache, meinem Kind geht es gut‹, dachte ich mit einem gewissen Trotz.
Schließlich zog ich Nachthemd und Bademantel an und begab mich erneut in den Wintergarten. Tamerlan war verschwunden, bestimmt litten Tiere, wenn sich ihre Herrchen die Köpfe einschlugen.
»Ta - mer - lan«, lockte ich voller Mitleid in den Garten hinaus. In den leise fallenden Schneeflocken tauchte auf einmal der Kater auf und näherte sich vorsichtig. »A, B, C, die Katze läuft im Schnee«, sang ich und hatte das Gefühl, in einen Film zu gehören.
Mit der Katze auf dem Arm lag ich in der Hängematte und fror trotz heißem Bad. Ich konnte weder klar denken noch konnte ich schlafen, und die Nacht war längst nicht zu Ende.
Um halb zwei klingelte das Telefon. Natürlich Dorit, die mir ein frohes neues Jahr wünschen will, dachte ich, das kann ich nicht aushaken. Als es aber nicht zu läuten aufhörte, schleppte ich mich doch an den Apparat. Sicher war es das Krankenhaus, und Levin war tot.
Es war zwar wirklich die Klinik, aber Levin ging es schon besser. Das Nasenbluten sei gestillt, die geplatzte Oberlippe genäht. Allerdings fehlten die vier oberen Schneidezähne. Wenn sie sofort gebracht würden, könnte man sie konservieren und später in der Universitäts-Zahnklinik Heidelberg eine Implantation versuchen.
Einen Zahn hatte ich gefunden und bereits in den Mülleimer geworfen. Die anderen vermutete ich draußen im Schnee, weil Levin auf dem Weg zum Krankenhaus noch einmal kräftig ausgespuckt hatte.
»Sie liegen unter einer Schneedecke«, sagte ich müde, »ich kann morgen früh, wenn es hell ist, danach suchen.«
Sie meinten , dann sei es vielleicht zu spät. Ich taumelte erschöpft wie ich war, in meine Hängematte, als plötzlich ein Eiszapfen vor mir auftauchte. Wie die Katze war Dieter aus dem dunklen Garten hereingeschlichen.
»Hella, alles ist deine Schuld!« sagte er anklagend. Mich packte ob dieser Ungeheuerlichkeit die Wut.
»Habe ich Levin krankenhausreif geschlagen?« schrie ich.
»Wenn du klipp und klar gesagt hättest, daß ich der Vater bin, dann wäre nichts passiert. Du bist feige.«
Tamerlan, die pelzige Wärmflasche, sprang von meinem Schoß. Auf den glatten Fliesen fegte er einen winzigen Gegenstand in alle Ecken, als sei das Leben plötzlich Spiel und

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