Die Apothekerin
ein krankes Lama, dachte ich, aber bildschön bin ich nie gewesen.
Levin hatte sich mittlerweile wieder etwas gefangen. Mit traurigen Augen schlich er wie ein mutterloses Kätzchen um mich herum, aber er weinte wenigstens nicht mehr so viel. Bald würde ich ihn ins Gebet nehmen. Aber was sollte ich sagen? ›Ihr seid beide keine ideale Besetzung dachte ich, ›aber ein vaterloses Kind will ich auch nicht.‹
Da Dorit und Gero nicht kamen, hatte ich viel zuviel eingekauft. Mit Pawel rechnete ich kaum, es machte wenig Sinn, noch tief in der Nacht von Heidelberg nach Viernheim zu fahren.
Dieter kam in die Küche. »Was gibt es Gutes?« fragte er. »Roastbeef, schön rosa.«
»Also blutig«, sagte Dieter, »bitte nicht, ich ekle mich vor
rohem Fleisch.«
Schade um das teure Lendenstück, es schmeckte einfach besser, wenn es nicht völlig durchgebraten war. »Levin mag es aber lieber rosa«, sagte ich, ohne es genau zu wissen.
Dieters Miene verfinsterte sich. »Der arme Waisenknabe ist natürlich wichtiger; im übrigen kann ich auch ins Wirtshaus gehen.«
Nur das nicht, dann blieb ja noch mehr übrig. »Kein Problem«, sagte ich, »deine Portion lasse ich einfach zehn Minuten länger unter dem Grill.«
Dieter war besänftigt. Lammfromm schälte er Kartoffeln für das Gratin und schnitt sie in feine Scheiben.
Dann betrat Levin die Küche mit frischen Pfirsichen. »Aus fernen Ländern. Ich spendiere den Nachtisch: Obstsalat aus Melonen, Pfirsichen und blauen Trauben.« Levin behauptete zwar, nicht kochen zu können, aber er kaufte stets genau die Zutaten für seine Leibgerichte ein. Ich sah mir die Pfirsiche an. Sie waren so hart, daß man sie nicht schälen konnte.
16
»Ich verstehe nicht, wie man immer solche Nieten ziehen kann«, sagte Rosemarie Hirte, »aber wie sollte gerade ich den ersten Stein werfen.«
»Sag ruhig deine Meinung«, bot ich ihr an, »hättest du dich für Levin oder für Dieter entschieden?«
Sie rümpfte die Nase. Ein gemurmeltes »Ich hätte alle beide zu guten Indianern gemacht« war mir unverständlich. Nach einer Weile kam ein zweiter Kommentar: »Arm oder reich, der Tod macht alle gleich.«
An diesem Tag löste sie mit Hingabe Kreuzworträtsel und fragte nur gelegentlich nach einem Fluß im Hindukusch oder nach böhmischen Dörfern. Erst als ich ihr URIAN für »ungebetenen Gast« nennen konnte, wurde sie an meine anstehende Silvesterfeier erinnert.
Aus zerquetschtem Knoblauch, Senf, Olivenöl, Salz, frisch gemahlenem Pfeffer und Tomatenmark bereitete ich eine pastöse Emulsion. Die Rinderlende teilte ich und bohrte den dicken Grillstab durch beide Hälften. Sorgfältig pinselte ich die ölige Würze über das Fleisch, schnitt Zwiebeln in feine Ringe, legte sie in die Saftpfanne und stellte schließlich den Grill an. Das Roastbeef rotierte etwas unrund, aber aus Erfahrung wußte ich, daß es letzten Endes immer gut wurde. Dieter hatte die fein geschnittenen Kartoffeln in einer flachen Auflaufform ausgebreitet. Er bestreute sie mit Salz und Rosmarin und goß Rahm darüber. Levin quälte sich mit den Pfirsichen ab.
Durch die geschäftige Atmosphäre in der warmen Küche kam eine gewisse Gemütlichkeit und Vertrautheit, wie wir sie in früheren Tagen gemeinsam genossen hatten, wieder auf. Levin legte eine Schallplatte mit Schlagern der dreißiger Jahre auf und versuchte sogar einen kleinen Stepschritt. Bei Ausgerechnet Bananen‹ stürzte er über eine Speckschwarte, die Dieter zum Einreiben der Form benutzt hatte.
»Entschuldigung«, sagte Dieter reumütig, »ist mir entglitten.«
Levin nahm es nicht krumm. Ich wunderte mich über seine Friedfertigkeit.
Nach fünfundvierzig Minuten nahm ich das halbe Roastbeef aus dem Ofen, wickelte es fest in Alufolie und stellte es warm. Dieters Anteil sollte noch eine Viertelstunde länger rotieren.
Schließlich saßen wir am schön gedeckten Tisch im Wintergarten und bemerkten, daß es bereits elf Uhr war. »Sehr gut«, sagte Levin, »wir essen ins neue Jahr hinein, das ist nicht der schlechteste Trick, böse Geister zu bannen.«
Das Essen sah vortrefflich aus, sowohl Dieter als auch Levin konnten mit der blutigen, beziehungsweise unblutigen Beschaffenheit ihres Fleisches zufrieden sein. Auch ich bekam Appetit, obgleich ich deftige Gerüche noch nicht gut vertrug und nach dem Fettgeruch in der Küche gerne wieder im Wintergarten war.
Levin nahm mir Messer und Gabel aus der Hand. »Hausherrenpflicht«, sagte er. »Sogar mein Opa, der alte
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