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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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kam nicht, es war Dr. Kaiser. Wir waren nicht gut auf ihn zu sprechen, weil er uns seit kurzem den Kaffee gestrichen hatte. Die Nachtschwester hatte verraten, daß wir vor lauter Geschwätz nicht zum Schlafen kämen. Wieder einmal schnitt er meine Fragen unbarmherzig ab: Er wisse schon, was gut für mich sei.
»Vielleicht ist Ihnen entgangen, daß ich Apothekerin bin«, sagte ich mit aller Arroganz.
Gerhard Kaiser gehört zu denen, die sofort klein beigeben.
Rosemarie schien mit Vergnügen seinen Kniefall zu beobachten.
Später fiel ihr noch etwas ein: »Schnee und Eis am Neujahrstag bringt nur Müh’ und große Plag…«
»Stimmt ausnahmsweise«, sagte ich, »wer mag schon nach einer schlaflosen Nacht Schnee schippen. Aber ich mußte es, es war kein Mann zur Hand.«
    Als ich dieser beschwerlichen Bürgerpflicht mit Schaufel und Besen nachgekommen war, beschloß ich, mich mit Tamerlan wieder ins Bett zu verkriechen. Das Telefon hatte ich außer Hörweite gestellt, um mich vor den guten Wünschen meiner Familie zu schützen. Ich wollte auch nicht über Dieters und Levins Befinden informiert werden.
    Es gibt einige Fluchtburgen im menschlichen Leben, die jeder benützt, wenn es ihm schlecht geht: Ich denke, am wichtigsten ist das Bett. Wenn mir das Wasser bis zum Halse steht, dann gibt es nur noch dieses Allheilmittel. Freilich geriet ich oft m die Versuchung - an Medikamenten herrschte ja kein Mangel -, den Schlaf mit künstlichen Mitteln herbeizuzwingen. Dorit kommt ohne Valium nicht zur Ruhe, das war mir stets ein warnendes Beispiel. Meistens habe ich es geschafft, meine Schlaflosigkeit durch Tee, Baldrian und ähnlich harmlose Hausmittel zu besiegen.
    Schlaf und Tod sind Brüder, sagt man. Wahrscheinlich ist auch meine Sehnsucht nach dem Bett keine sehr positive Haltung, aber eine Art Seelsorge. Und wenn man nur lange genug liegen bleibt, erwachen meistens neue Lebensgeister.
    Viele Dinge mußte ich in Angriff nehmen. Bei einer Scheidung würde Levin finanzielle Bedingungen stellen. Meinetwegen sollte er sich einen Teil der Aktien und Wertpapiere unter den Nagel reißen; das halbe Vermögen und die Villa würden mir bereits genügen. Sollte ich mich selbständig machen? Ich konnte mit meinem Kind in den oberen Räumen wohnen und unten eine Apotheke einrichten. Konnte ich mir eine Kinderfrau leisten? Meine Eltern würden sich bestimmt wieder maßlos über mein neues Leben aufregen.
    Wie immer wurde ich beim Plänemachen heiterer. Natürlich konnte ich Levin nicht sofort mit Scheidungsabsichten quälen. Mit ihm zu streiten, wo ihm vier Schneidezähne fehlten, wäre unfair. Immerhin mußte ich grinsen ob der höheren Gerechtigkeit: Stets würden seine dritten Zähne ihn an ein gewisses Glasschälchen erinnern.
    Nachdem er mich beinahe erwürgt hatte, trauerte ich nicht um Dieter. Sicher, er war im Grunde kein wertloser Mensch, unter anderen Bedingungen… Ich mußte zugeben, daß gerade seine aufregende Vergangenheit mich angezogen hatte.
    Nun gab es aber plötzlich einen dritten Mann: Pawel. Ein rührender Typ, dem man gelegentlich die Brille putzen oder das getrocknete Eigelb aus dem Bart zupfen mußte. Wie standen meine Chancen? Bis jetzt hatte ich den Eindruck, daß Pawel mich zwar gern mochte, aber an der Mutter seiner Kinder festhielt.
    Als mich am Nachmittag der Hunger aus dem Bett trieb, ließ ich das Telefon einfach läuten. Ich kochte Tee und stopfte mir kaltes Roastbeef in den Mund. Beim Essen wurde ich immer gieriger, auch Tamerlan schien mit dem üblichen Katzenfutter nicht zufrieden. Wir teilten uns eine Dose Thunfisch. Meine Hälfte verrührte ich mit Kapern, Ketchup, rohen Zwiebeln und Zitronensaft.
    Am Abend schellte es. Ich schlich ans Fenster und spähte hinaus. Pawel sah mich erschrocken an, ich muß wohl ziemlich fahl ausgesehen haben.
    »Bist du krank?« sagte er, denn ich war im Morgenrock.
    »Vielleicht ein bißchen, der Schock ist mir in die Glieder gefahren.«
»Wie geht es unserem Würger?« fragte er.
Ich zuckte mit den Achseln. »Vielleicht mittlerweile gestorben«, sagte ich.
Pawel zog verwundert die Augenbrauen hoch. Er rief im Krankenhaus an. Auskunft über Dieters Gesundheitszustand dürften nur Verwandte einholen, erfuhr er. Das wußte ich bereits seit Margots Unfall.
»Daraus schließe ich aber, daß er lebt«, sagte Pawel, »und wie geht es deinem Mann?«
Ich versicherte (und Pawel verstand mich nicht), daß Levin die längste Zeit mein Mann gewesen sei und ich ihn auf keinen Fall

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