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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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diese schlechte Welt. Sie werde mit Levin reden, damit er Dieter noch heute davonjage.
Wir bekamen zum ersten Mal in unserer langjährigen Freundschaft richtigen Krach. Sie warf mir Einfältigkeit und einen sozialen Tick vor.
Schließlich spuckte ich es aus: »Vielleicht ist das Kind von Dieter!«
Dorit wollte mir nicht glauben. Ich sei nicht mehr zu retten.
    Als es Dieter besser ging, beorderte ich Levin zu einer Konferenz ans Krankenbett. Levin trug künstliche Zähne, die er haßte; seine Wut konzentrierte er auf mich, nicht etwa auf den Verursacher.
    »Sie will, daß wir um das Kind würfeln«, sagte Levin. Dieter sah mich gramvoll an.
›Gleich flennen sie alle beides dachte ich. »Nein«, sagte ich,
    »aber ich will, daß ihr euch eine andere Bleibe sucht. Ich möchte nicht mehr mit euch zusammenwohnen.«
»Was haben wir dir denn getan?« fragte Levin wehleidig.
»Dieter hat mich fast umgebracht, und du hast mich vom ersten Moment an mit Margot betrogen.«
»Nun gut, aber jetzt sind wir quitt«, sagte Levin.
Dieter, der fast gar nicht mehr redete, tat nun doch seinen Mund auf. »Wenn ihr mich auf die Straße werft, bringe ich mich um«, sagte er so finster, daß man ihm sofort glaubte.
»Was heißt hier ›ihr‹«, sagte Levin, »mich will sie doch auch…«
»Okay«, sagte ich, »so herzlos bin ich nicht, daß ihr noch heute ins Obdachlosenasyl müßt. Aber ich will in Zukunft das Erdgeschoß allein bewohnen, ihr könnt euch gemeinsam im ersten Stock breit machen, bis ihr etwas Geeignetes findet.«
Die beiden sagten nichts mehr.
    Schon am nächsten Abend war die untere Wohnung geräumt. Levin hatte in meiner Abwesenheit sein Hab und Gut nach oben getragen, um dort mit Dieter in trauter Zweisamkeit zu leben.
    Als ich Pawel das Angebot machte, zu mir zu ziehen, lehnte er ab. »Ich kann doch nicht meine Kinder in unmittelbarer Nähe eines Verrückten…«, er unterbrach sich, weil er wahrscheinlich an seine Frau dachte, »ich meine, eines Gewalttätigen, aufziehen!«
    Es wurde langsam Frühling, der hier an der Bergstraße zuerst einkehrt. Im März veranstalteten alle Kinder den Sommertagszug und verbrannten auf dem Marktplatz einen riesigen Schneemann aus Watte. Anfang April begann meine Magnolie aufzugehen, aber leider wurden die schönen, leicht rosa Blüten durch anhaltende Regengüsse bräunlich und lagen bald schon schlaff am Boden. Als die Kirschbäume wie riesige weiße Blumensträuße blühten, meinte ich, die ersten Kindesbewegungen zu spüren. Meine Schwangerschaft verlief vorbildlich, der Gynäkologe war zufrieden.
    Dieter wurde, trotz Levins entlastender Aussagen, zu einer Haftstrafe verurteilt, die er demnächst antreten mußte. Gelegentlich begegneten wir uns an der Haustür. Er schämte sich sehr, was mich ein wenig rührte. Manchmal spürte ich seinen Blick vom oberen Stock, wenn ich im Garten saß. Ich ahnte, daß er meinen Bauch taxierte, der sich allmählich rundete.
    Levin ging mir ebenfalls aus dem Wege. Anfangs hatte ich befürchtet, die beiden würden in meiner Abwesenheit den Wintergarten und vor allem die Küche benützen. Aber da beide geschickte Bastler waren, hatten sie sich eine Kochecke im oberen Stock eingerichtet. Heimlich sah ich mir die Sache an. Von Provisorium konnte man kaum sprechen, ein High-TechHerd, ein klobiger Kühlschrank, ein doppeltes Spülbecken mit Wasseranschluß und mehrere Regale aus Edelstahl waren installiert, es fehlten einzig die Fliesen. Sie schliefen in getrennten Zimmern und schienen eher eine Zweck- als eine Wohngemeinschaft zu bilden.
    Levin fragte zwar zweimal nach meinem gesundheitlichen Zustand, aber er verlangte weder Geld noch Dienstleistungen.
Hätte ich nicht wenigstens in Pawel einen kameradschaftlichen Freund gehabt, wäre ich ein bißchen einsam gewesen. Andererseits plagte mich chronische Müdigkeit, ich ging früh zu Bett und war froh, nach der Arbeit und einem Besuch bei Pawel nicht mehr für andere dasein zu müssen.
    Eines Tages war ich schließlich so anlehnungsbedürftig, daß ich Pawel nach der Empfangsumarmung nicht mehr losließ. »Was ist mit dir?« fragte er erschrocken.
    An diesem Mann gefiel mir fast alles. (Daß er gelegentlich Kniebundhosen trug und täglich ›Die Schöne Müllerin‹ hören mußte, konnte ich ihm wohl abgewöhnen.) Ich hatte das verzehrende Verlangen, mit ihm zu schlafen, das war mit mir. Aber anscheinend wollte er nichts davon wissen; irgendwann mußte ich einen direkten Angriff wagen.
    Gerade als ich Pawel

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