Die Apothekerin
resigniert freigab, näherte sich Kolja wichtigtuerisch und informierte mich: »Die Mama kommt am Wochenende!«
Mit dieser Möglichkeit hatte ich zwar schon immer rechnen müssen, aber den Gedanken verdrängt. »Freust du dich?« fragte ich den Jungen.
Er sah mich ernsthaft an. »Nein«, sagte er.
Und Lene mischte sich auch ein: »Die Mama ist nämlich krank.«
Pawel klärte mich auf, daß es ein Versuch sei; seine Frau solle vorläufig die Wochenenden zu Hause verbringen und sich langsam wieder auf ein normales Leben einstellen.
»Die Kinder werden ihr von mir erzählen«, sagte ich, als Lenchen und Kolja außer Hörweite waren.
»Das haben sie längst getan«, sagte Pawel.
Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Diese Frau mußte mich hassen. Ich nahm hier ein wenig ihren Platz ein. »Wie hat sie reagiert?« fragte ich.
»Mein Gott, sie ist viel zu krank, um sich für mögliche Konsequenzen unserer Freundschaft zu interessieren. Sie ist dir dankbar, daß du dich mit den Kindern abgibst.«
Das konnte ich nicht ganz glauben, aber es erleichterte mich. Schließlich hatte Pawel seine Frau nicht betrogen, obgleich ich es mir sehr wünschte. Wahrscheinlich hatte er ihr erzählt, daß eine glücklich verheiratete, schwangere Frau sich ein wenig mit den Kindern angefreundet habe.
»Meinst du, ich sollte mich am Wochenende bei euch blicken lassen?« fragte ich.
Pawel schüttelte den Kopf. »Sie ist sowieso überfordert.« Es klang deprimiert. »Es wird noch ein großes Problem, wenn wir umziehen«, sagte er, »ich muß ihr jetzt sagen, daß wir hier nicht bleiben dürfen.« Ihm stand das Unglück im Gesicht geschrieben.
An diesem einsamen Wochenende besuchte ich Dorit. Sie war böse auf mich, weil Dieter immer noch über mir wohnte. »Stell dir einmal ganz drastisch vor, er kriegt einen Koller und wirft dich die Treppe hinunter.« »Nein, Dorit, er ist im Innersten seiner Seele…«
Dorit verstand mich nicht. »Allmählich komme ich zu dem Schluß, daß du ein für allemal die Finger von den Männern lassen solltest, du hast keine glückliche Hand. Zieh dein Kind allein auf, du hast es nicht anders verdient.«
»Mit Pawel könnte ich glücklich werden.« »Pawel ist verheiratet, und du bist es auch.« Dorit hatte in diesem Punkt sehr altmodische Vorstellungen, wahrscheinlich, weil sie ihre eigene Ehe als Norm ansah.
Nach dem Besuch bei Dorit wollte ich noch ein wenig allein Spazierengehen; es war ein milder Frühlingstag, und ich schlug einen Weg dem Neckar entlang ein. Hier hatte ich fast alle bisherigen Liebhaber hingelotst, um mich bei Mondschein küssen zu lassen, hier wollte ich demnächst stolz mein Baby im Kinderwagen spazierenfahren. Auch die Enten führten kleine Familien aus, erboste Schwäne machten ihre Hälse noch länger, weil sie im Gebüsch ein Nest zu verbergen hatten.
Eine Menschenfamilie kam mir entgegen: Pawel mit seiner Frau und den beiden Kindern, die mich schon von weitem entdeckten und auf mich zuliefen. Ich wurde etwas nervös, denn ich wollte auf keinen Fall, daß Pawel diesen Zufall für Absicht hielt.
Alma reichte mir ihre schmale Hand; sie fühlte sich an wie eine tote Maus.
»Die Kinder haben mir bereits viel von Ihnen erzählt«, sagte sie wohlerzogen.
Pawel sah mich seltsam an. Er hatte Angst.
Wenn ich Almas Äußeres beschreiben soll, dann fallen mir Gemälde ein: Jugendstil oder Romantik. Ja sie konnte einem Märchen entstiegen sein. Das fließende Seidenkleid war von nostalgischer Machart und unterstrich ihren blutarmen Typ vorteilhaft, ihren Strohhut zierten rosa Bänder (dabei freute man sich in dieser Jahreszeit doch über jeden Sonnenstrahl), und die hellgrauen Schuhe hatten hohe Absätze (völlig ungeeignet für die feuchten Neckarauen). Alle Farben waren zart, die Stimme klang leise, die Augen wirkten umnachtet. ›Fehlt bloß eine Ohnmacht, dachte ich zornig. Klar, daß diese aufgedunsene Person nicht in der Lage war, ein Klo zu putzen.
»Komm mit uns, Hella«, sagte Lene, »dann ist es lustiger. Wir wollen um die Wette rennen.«
Würdevoll lehnte ich ab. Mein Bauch wäre mir im Weg.
Alma spukte in meinen Träumen herum. Schon nach diesen wenigen Minuten hatte sie einen nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht. Wie eine körperlich oder gar geistig Kranke sah sie nicht unbedingt aus, eher wie ein raffiniertes Kind, das sich als Frau verkleidet hat. Wenn ich Pawel zehn Jahre früher getroffen hätte, wäre uns beiden allerhand erspart geblieben, aber was half es, sich das immer
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