Die Aquitaine-Verschwoerung
gehalten.
Er sah zu viele Schatten, dachte er, während seine Augen der eleganten Gestalt folgten. Zu viele Schatten, die keine Ãberraschung bargen, keinen Grund zur Beunruhigung. In der Maschine aus Paris hatte ein paar Reihen vor ihm ein Mann gesessen, der zweimal aufgestanden und zur Toilette gegangen war, und jedes Mal, wenn er zu seinem Sitz zurückging, hatte er Joel scharf angesehen, ihn studiert. Diese Blicke hatten ausgereicht, um Joels Puls zu beschleunigen. Hatte man ihn am Flughafen entdeckt? War der Mann ein Mitarbeiter von Jacques Louis Bertholdier?So wie das ein Mann in einer Seitengasse in Paris gewesen warâ Denk nicht daran! Er hatte eine kleine Kruste getrocknetes Blut von seinem Hemd geklopft, als er sich die stumme Ermahnung erteilte.
» Als ob ich einen alten Yankee nicht sofort auf den ersten Blick erkennen könnte! Hab mich noch nie geirrt!« Das war die etwas antiquierte BegrüÃung in Kopenhagen, als er gemeinsam mit einem weiteren Amerikaner auf das Gepäck wartete.
» Nun, einmal habe ich mich getäuscht. Irgend so ein Kerl in einer Maschine nach Genf. Direkt neben mir hat er gesessen. So ein schwarzhaariger Latino in einem Anzug mit Weste. Mit der Stewardess hat er Englisch gesprochen, also dachte ich mir, er sei einer dieser reichen kubanischen Flüchtlinge aus Florida. Verstehen Sie?«
Ein Abgesandter in der Kleidung eines Geschäftsmannes. Einer der Diplomaten.
Genf. In Genf hatte es angefangen.
Zu viele Schatten. Keine Ãberraschungen, kein Alarm. Die Frau ging durch den Torbogen, und Joel löste den Blick von ihr, zwang seine Augen wieder zurück auf den Bericht über Erich Leifhelm. Dann störte ihn eine kleine, plötzliche Bewegung; er sah wieder zu der Frau hinüber. Ein Mann war aus einer nicht einsehbaren Nische herangetreten; seine Hand berührte ihren Ellbogen. Sie tauschten kurz ein paar Worte und trennten sich ebenso abrupt wieder voneinander, wie sie sich begegnet waren, wobei der Mann seinen Weg in die Halle fortsetzte, während die Frau verschwand. Sah der Mann zu ihm herüber? Converse beobachtete ihn aufmerksam; hatte dieser Mann ihn angesehen? Es war unmöglich, das sicher zu sagen. Der Fremde drehte den Kopf nach allen Seiten, als suchte er etwas. Und dann eilte er, als hätte er das Gesuchte gefunden, auf eine Schalterreihe zu. Sein Ziel war der Schalter der Japan Air Lines. Er zog seine Brieftasche hervor, als er mit dem Angestellten zu sprechen begann.
Keine Ãberraschungen, kein Alarm. Ein gehetzter Reisender hatte nach einer Auskunft gefragt. Die Störungen waren mehr eingebildet als tatsächlich vorhanden. Und doch schaltete sich selbst hier seine Anwaltsmentalität ein. Im Ergebnis waren Störungen immer eine Tatsache, ob sie nun auf Realität beruhten oder nicht. O Gott! Lass das doch! Konzentriere dich!
Als Erich Stössel-Leifhelm siebzehn Jahre alt war, legte er am Gymnasium von Eichstätt das Abitur ab. Damals herrschte ein allgemeines finanzielles Chaos, und der Zusammenbruch der amerikanischen Börse im Jahre â29 verschärfte die ohnehin trostlose Wirtschaftslage der Weimarer Republik noch weiter, sodass sich nur wenige Studenten den Ãbertritt auf eine Universität leisten konnten. Später schilderte Stössel-Leifhelm den Schritt, den er damals unternahm, als das Ergebnis jugendlicher Wut: Er reiste nämlich nach München, um von seinem Vater eine Unterstützung zu verlangen. Was er dort vorfand, schockierte ihn nicht nur, sondern erwies sich als einmalige Chance, die der Zufall ihm zugespielt hatte. Das ruhige, störungsfreie Leben des Arztes war in Stücke gegangen. Seine Ehe, die für ihn von Anfang an erniedrigend gewesen war, hatte ihn zum Trinker werden lassen, bis sich die unvermeidlichen Kunstfehler einstellten. Die Ãrztekammer (der viele Juden angehörten) brachte einen Tadelsantrag gegen ihn ein, warf ihm Unfähigkeit vor und veranlasste, dass er seine Stelle an einer Münchner Klinik verlor. Seine Ehefrau wies ihn aus dem Haus, wobei sie ihr alter, aber immer noch mächtiger Vater unterstützte, der ebenfalls Arzt war und dem Aufsichtsgremium der Klinik angehörte. Als Stössel-Leifhelm seinen Vater fand, lebte dieser in einem billigen Mietshaus in einem armseligen Stadtviertel. Während eines langen und ohne Zweifel im Rausch vorgebrachten Geständnisses offenbarte ihm der Vater eine Tatsache, die
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