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Die Aquitaine-Verschwoerung

Die Aquitaine-Verschwoerung

Titel: Die Aquitaine-Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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Café des Kopenhagener Flughafens Kastrup und versuchte, sich zu konzentrieren. Dies war sein zweiter Versuch im Laufe der letzten zwanzig Minuten; den ersten hatte er aufgegeben, als er bemerkte, dass er das Gelesene nicht aufnahm, sondern nur schwarze Buchstaben sah, eine endlose Kette kaum erkennbarer Wörter, die sich auf eine Gestalt in den äußeren Bereichen seines Bewusstseins bezogen. Er war unfähig, das Bild jenes Mannes scharf zu bekommen; es gab zu viele Störungen, tatsächliche und eingebildete. Auch während des zweistündigen Fluges von Paris nach Kopenhagen hatte er nicht lesen können. Er hatte sich für ein Economy-Ticket entschieden in der Hoffnung, in der größeren Zahl von Menschen unterzugehen. Was auch zutraf. Die Sitze waren so eng und das Flugzeug so voll besetzt, dass es praktisch unmöglich war, Ellbogen oder Unterarme zu bewegen. Diese Umstände verhinderten aber ebenso, dass er den Bericht hervorholte, sowohl aus Raumgründen als auch aus Furcht vor fremden Blicken.
    Heinrich Leifhelm brachte seine Geliebte und ihren gemeinsamen Sohn In der Stadt Eichstätt nördlich von München unter. Dort besuchte er sie ab und an und ermöglichte ihnen einen ausreichenden, aber nicht besonders bequemen Lebensstandard. Der Arzt war offenbar hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, eine erfolgreiche Praxis ohne gesellschaftlichen Makel in München zu unterhalten, und dem Gefühl, Mutter und Kind nicht verlassen zu dürfen. Nach Ansicht enger Bekannter von Erich Stössel-Leifhelm hatten diese frühen Jahre eine tiefe Wirkung auf ihn. Zwar war er noch zu jung, um die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs voll zu begreifen – eine Erinnerung, die ihn später verfolgen sollte –, doch schrumpften die Mittel des kleinen Haushaltes in dem Maße, wie die Zahlungsfähigkeit des älteren Leifhelm unter der Last der Kriegssteuern geringer wurde. Außerdem betonten die Besuche seines Vaters die Tatsache, dass er nicht als Sohn anerkannt werden konnte und daher keinen Anspruch auf die Privilegien hatte, die seine beiden Stiefbrüder und eine Stiefschwester genossen, Fremde, die er nie kennenlernen sollte und deren Heim er nicht betreten konnte. Ihm fehlte die Legitimität, wie sie durch heuchlerische Dokumente und dennoch heuchlerischeren Segen der Kirche dokumentiert wurde, was in ihm das Gefühl weckte, ihm werde das genommen, was ihm rechtmäßig zustünde. Und so entwickelte sich in ihm Wut und Verärgerung. Ein tief sitzender Zorn auf die herrschenden gesellschaftlichen Gegebenheiten. Wie er selbst zugab, war es sein erster bewusster Wunsch, aus eigener Kraft so viel wie möglich für sich zu gewinnen, sowohl materiell als auch Anerkennung durch die Umwelt. Und damit wollte er sich gegen seinen Lebensstatus auflehnen, der seiner Ansicht nach für ihn demütigend war.
    Converse hörte zu lesen auf und wurde sich plötzlich der Frau bewusst, die allein auf der anderen Seite des halb verlassenen Cafés an einem Tisch saß und ihn ansah. Ihre Augen begegneten sich. Die Frau wandte sich sofort ab, legte den Arm auf das niedrige weiße Geländer, das das Restaurant einfasste, und studierte die spärlicher gewordenen Scharen von Menschen, die jetzt nachts durch den Flughafen schlenderten, als warte sie auf jemanden. Erschreckt versuchte Joel, den Blick zu analysieren, mit dem sie ihn beobachtet hatte. War das ein Blick des Erkennens gewesen? Kannte sie sein Gesicht? Oder war es ein prüfender Blick gewesen? Eine gut gekleidete Prostituierte, die im Flughafen einen Freier suchte, einen einsamen Geschäftsmann, weit weg von zuhause? Sie drehte langsam den Kopf und sah ihn wieder an, jetzt offenbar darüber verstimmt, dass seine Augen immer noch auf sie gerichtet waren. Und dann sah sie abrupt auf die Uhr, zupfte an ihrem breitkrempigen Hut und klappte die Handtasche auf. Sie nahm einen Geldschein heraus, legte ihn auf den Tisch, stand auf und ging zum Ausgang des Cafés. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging sie schneller, ihre Schritte wurden länger, und sie strebte auf den Bogen zu, hinter dem sich die Gepäckausgabe befand. Converse beobachtete sie in dem kalten weißen Neonlicht der Halle, schüttelte den Kopf und war über seine Unruhe verärgert. Mit seiner Aktentasche und dem ledergebundenen Bericht hatte die Frau ihn wahrscheinlich für eine Art Flughafenbeamten

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