Die Arche
ohne jeden Kontakt gewesen waren, hielten sich misstrauisch
zurück. Es gab sogar Gerüchte, wonach es unter
verschiedenen Unterdrücker-Gruppierungen zum Streit über
Auslöschungsrechte gekommen sein sollte.
In den guten alten Zeiten waren noch saubere, systematische
Schläge geführt worden, und kein größerer
Ausbruch konnte durch die Maschen schlüpfen, doch seither war
einiges schief gelaufen. Der Aufseher zog unwillkürlich seine
Schlüsse. Das große galaxisweite System zur
Unterdrückung von Intelligenz – jene Maschinerie, in der er
selbst ein kleines Rädchen war – zeigte
Ausfallerscheinungen. Immer wieder kam es vor, dass eine intelligente
Rasse entkam und zur Seuche zu werden drohte. Die Lage hatte sich in
den letzten Jahrmillionen deutlich verschlechtert, dabei war dieser
Zeitraum verschwindend gering, verglichen mit den dreizehn
Galaktischen Umläufen – drei Milliarden Jahren –, die
noch vergehen mussten, bis die Krise eintrat. Der Aufseher hatte so
schwere Zweifel, ob sich die Intelligenz bis dahin im Zaum halten
ließe, dass er beinahe versucht war, schon jetzt aufzugeben und
auf die Ausrottung dieser Spezies zu verzichten. Immerhin handelte es
sich um vierbeinige, Sauerstoff atmende Wirbeltiere. Säuger.
Leise Verwandtschaftsgefühle durchströmten ihn, wie er sie
nie gespürt hatte, wenn er Ammoniak atmende Gassäcke oder
stachelige Insektoiden liquidieren musste.
Der Aufseher zwang sich, diese Stimmung abzuschütteln.
Womöglich war gerade diese Art zu denken verantwortlich für
den zunehmenden Rückgang der Erfolgsrate bei den
Säuberungen.
Nein, die Säuger mussten sterben. So war es geplant, und
dabei würde es bleiben.
Der Aufseher begutachtete den Stand der Arbeiten um Delta
Pavonis. Er wusste, dass hier schon einmal eine Säuberung
stattgefunden hatte. Die Vogelwesen, die vorher diesen Raumabschnitt
bewohnt hatten, waren ausgelöscht worden. Die Säuger, um
die es jetzt ging, hatten sich wahrscheinlich nicht einmal hier
entwickelt, und daraus folgte, dass dies nur die erste Stufe eines
sehr viel längeren Säuberungsprozesses war. Der letzte
Schwarm hatte wirklich gepfuscht, dachte er. Natürlich war man
immer bestrebt, bei einer Säuberung die Schäden für
die Umwelt so gering wie möglich zu halten. Welten und Sonnen
sollten nur dann zu Waffen gemacht werden, wenn ein Ausbruch der
Klasse Drei bevorstand, und auch in diesem Fall nur, wenn es
unvermeidlich war. Sinnloser Vandalismus war dem Aufseher zuwider. Er
empfand sehr deutlich, welche Ironie darin lag, jetzt Sterne zu
zertrümmern, wenn seine ganze Arbeit doch nur den einzigen Zweck
hatte, in drei Milliarden Jahren eine größere Katastrophe
zu vermeiden. Aber was geschehen war, war nun einmal geschehen. Nun
musste man auch etwas umfangreichere Schäden in Kauf
nehmen.
Eine unappetitliche Sache. Aber, so überlegte der
Aufseher, biologisches ›Leben‹ war nun einmal nicht
appetitlich.
* * *
Die Inquisitorin schaute aus dem Fenster auf das verregnete Cuvier
hinab. Ihr Spiegelbild schwebte hinter dem Glas wie ein Gespenst, das
die Stadt belauerte.
»Wollen Sie wirklich mit ihm allein bleiben, Madame?«,
fragte der Wärter, der ihn gebracht hatte.
»Ich komme schon klar«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
»Wenn nicht, sind Sie ja gleich nebenan. Nehmen sie ihm nur die
Handschellen ab, dann brauche ich Sie nicht mehr.«
»Sind Sie ganz sicher, Madame?«
Der Wärter bog die Plastikfesseln auseinander. Thorn streckte
die Arme, dann befühlte er hektisch sein Gesicht wie ein
Künstler, der sehen wollte, ob die Farbe noch feucht war.
»Sie können jetzt gehen«, sagte die
Inquisitorin.
»Wie Sie meinen«, antwortete der Wärter und schloss
die Tür hinter sich.
Thorn ließ sich in den Sessel fallen, der für ihn
bereitstand. Khouri sah weiter aus dem Fenster. Die Hände hatte
sie hinter dem Rücken verschränkt. Von der Dachtraufe
rauschte das Wasser wie ein Vorhang herab. Der Nachthimmel war eine
einzige rötlich schwarze Dunstwolke. Die Sterne waren in dieser
Nacht nicht zu sehen, der Himmel war frei von drohenden
Vorzeichen.
»Hat man Ihnen wehgetan?«, fragte sie.
Er fiel nicht aus der Rolle. »Was glauben Sie, Vuilleumier?
Dass ich mich selbst so zugerichtet habe, weil ich gerne Blut
sehe?«
»Ich weiß, wer Sie sind.«
»Ich auch – mein Name ist Renzo.
Glückwunsch.«
»Sie sind Thorn. Man hat lange nach Ihnen gesucht.« Sie
sprach ein wenig lauter als sonst. »Ist Ihnen eigentlich
bewusst, wie viel
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