Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
ungebärdige Mähne zu Zöpfen flechten ließ. Damit war das Problem weitgehend gelöst, und Aurian begann Gefallen daran zu finden, sich um ihr Haar zu kümmern, obwohl die spekulativen Blicke, die sie ihm dabei zuwarf, dem Schwertkämpfer immer wieder Anlaß zur Sorge gaben. Er wußte, wie stur sie sein konnte, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Als Forral etwa in Aurians Alter gewesen war, hatte Geraint ihm das Lesen beigebracht. Erst jetzt wurde ihm klar, wie sehr er damals die Geduld seines Freundes strapaziert haben mußte. Eilin holte Geraints alte Buchbestände wieder hervor, und Forral versuchte Bücher daraus auszuwählen, von denen er glaubte, sie würden dem Kind gefallen. Meist waren es alte Geschichten von Abenteuern und kühnen Taten – und es stellte sich bald heraus, daß er sich für genau dieselben Bücher entschieden hatte wie damals Geraint. Die Wunde seiner Trauer um Geraint öffnete sich von neuem, als er sich an das Gesicht seines alten Freundes erinnerte, wie dieser, tief über die Seiten gebeugt, sich geduldig abmühte, dem verwirrten Jungen, der er damals gewesen war, das Geheimnis der Schrift näherzubringen.
Aurian haßte es. Da sie es nicht gewohnt war, still zu sitzen und sich zu konzentrieren, hielt sie die ganze Angelegenheit für Zeitverschwendung. Schließlich machte sie es sich zur Gewohnheit, zur Unterrichtszeit zu verschwinden, und Forral war zutiefst dankbar für seine Fertigkeiten als Spurenleser. Wenn er sie gefunden hatte, zog er sie hinter sich her zurück zum Turm, wobei Aurian den ganzen Weg über bitteres Protestgeschrei von sich gab und sich so heftig wehrte, daß Forral schon befürchtete, ihre Freundschaft würde irreparablen Schaden nehmen.
Am Ende suchte der Schwertkämpfer Zuflucht bei einer List, indem er so tat, als gebe er nach. »Na schön«, sagte er schulterzuckend, »wenn es zu schwierig für dich ist, brauchen wir uns wirklich keine solche Mühe mehr damit zu machen.« Aurian blickte ihn unter zusammengerunzelten Augenbrauen argwöhnisch an. Sie wußte mittlerweile, daß Forral zu guter Letzt immer seinen Willen bekam. Nun tat er so, als ignoriere er sie, und brühte sich etwas von Eilins Hagebuttentee auf, einem perfekten Gegenmittel gegen das Winterwetter. Während er einen Löffel Honig in seine Tasse einrührte, lehnte er sich zurück, legte seine Füße auf den warmen Herd, öffnete das Buch der Legenden und begann zu lesen.
Nach einer Weile fing Aurian an, ziellos durchs Zimmer zu wandern, auf der Suche nach etwas, womit sie sich beschäftigen konnte. Das Wetter war viel zu schlecht, um hinauszugehen. Draußen heulte ein neuerlicher Schneesturm, und der Wind schüttelte die Rahmen der dicken, kristallenen Fensterflügel. Forral beobachtete das Kind aus den Augenwinkeln. Schließlich kam sie zu ihm. »Können wir nicht etwas spielen?«
»Jetzt nicht«, sagte Forral geistesabwesend. »Ich bin beschäftigt.«
Aurian zog ein langes Gesicht. Dann saß sie eine Weile untätig auf ihrem Stuhl und scharrte mit den Füßen. »Forral, ich langweile mich«, jammerte sie.
»Ich nicht«, erwiderte er selbstgefällig, »dazu ist diese Geschichte hier viel zu interessant.«
Aurian stampfte mit den Füßen auf. »Das glaube ich dir nicht!« rief sie. »Das sagst du nur, um mich dazu zu bringen, dieses blöde Zeug zu lesen!«
Forral krümmte sich innerlich. Das Kind war klüger, als ihm guttat. Nachdem er schnell nachgedacht hatte, setzte er eine verletzte Miene auf. »Meinst du, ich würde lügen? Wenn du mir nicht glaubst, lese ich dir die Geschichte vor.« Aurian wirkte erleichtert und setzte sich zu seinen Füßen.
Es war wirklich eine aufregende Geschichte. Aus eben diesem Grund hatte Forral sie auch ausgesucht. Er blickte hinunter in das verzückte Gesicht des Kindes. Als sie den Höhepunkt des Märchens erreicht hatten – die tapfere junge Heldin war gerade von wilden Kobolden und Trollen auf einem Berg gefangengenommen worden, –, legte er das Buch beiseite und gähnte.
»Nicht aufhören«, drängte Aurian ihn ängstlich und biß sich auf die Lippe. »Was passiert als nächstes?«
Forral zuckte die Achseln. »Ich hab’ jetzt keine Lust mehr, weiterzulesen. Ich glaube, ich mache ein Schläfchen.« Dann legte er das Buch auf den Stuhl, ging aus dem Zimmer und schloß, ungeachtet der wütenden Proteste des Kindes, entschlossen die Tür hinter sich.
Eine Stunde später kehrte der Schwertkämpfer zurück, um Aurian mit Tränen der
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