Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
Miathans suchendem Bewußtsein ausging, das immer wieder über sie hinwegstrich. Aurian zögerte, ihn zu wecken, aber als schließlich ihre Augenlider nicht mehr länger offenbleiben wollten, wußte sie, daß sie nicht anders konnte. »Anvar«, flüsterte sie und rüttelte ihn wach. »Anvar, ich brauche deine Hilfe.«
»Ja.« Er klang schläfrig und benommen, und Aurian fragte sich, ob sie wohl genauso schlimm aussah wie er: zerzaust und schmutzig, das Gesicht von Anstrengung gezeichnet und grau vor Müdigkeit. Er gab ihr die Wasserflasche, bevor er selbst etwas trank. »Ist er immer noch da draußen?« flüsterte er.
Aurian nickte. »Es ist besser, wenn wir nicht von ihm sprechen, solange er uns sucht«, warnte sie ihn. »Wenn ich von ihm spreche, schwächt das meine Konzentration für den Schutzschild; wir sollten uns also Gesprächsthemen suchen, die weitab von dem liegen, dem wir hier entkommen wollen.«
Anvar grunzte. »Es ist unmöglich, nicht an ihn zu denken«, sagte er. »Worüber könnten wir denn sprechen, Herrin?«
Aurian zuckte die Achseln. »Über das Wetter?« schlug sie kleinmütig vor. »Das würde uns immerhin für ganze zwei Minuten beschäftigen.«
»Laß uns doch so tun, als reisten wir in weite Fernen – irgendwo ganz anders hin«, meinte Anvar. »Das könnte ihn vielleicht verwirren, falls dein Schild irgendwie durchlässig wird. Weißt du, Herrin, ich kann mir nicht helfen, aber ich habe das Gefühl, daß ich nichts lieber täte, als weit fortzugehen – weit, weit fort von all diesen Schwierigkeiten. Weißt du irgend etwas über die südlichen Länder jenseits des Meeres?«
Aurian wußte etwas darüber; sie hatte es von Forral erfahren, der in seinen jüngeren Jahren in geheimer Mission im Süden gewesen war, um Informationen zu sammeln. (Solch ein Auftrag hatte ihn auch von der Heimat ferngehalten, als Geraint starb.) Die Garnison versuchte, sich ständig über die südlichen Länder auf dem laufenden zu halten, denn die kriegerischen südlichen Rassen stellten eine permanente Bedrohung dar. Dankbar für die Ablenkung, war die Magusch nur allzugern bereit, Anvar zu erzählen, was sie wußte.
Das öde Bergland der Südküste reichte bis zum Ozean, der den nördlichen Kontinent von den ungeheuren Weiten der südlichen Königreiche trennte. Es gab kaum Verbindungen zwischen den beiden Kontinenten, aber die Spione, wenn sie überhaupt zurückkehrten, berichteten übereinstimmend von der Kampffreudigkeit und überlegenen Zahl der kriegserprobten Bewohner der größeren Landmasse. Glücklicherweise fürchteten die Südländer die magischen Kräfte der Magusch, und das hatte bisher stets ausgereicht, um sie auf Abstand zu halten.
Es war bekannt, daß es im Süden wenigstens drei Königreiche gab; aber jenseits davon, wo die Wüsten in einen undurchdringlichen Urwald übergingen, lag alles in geheimnisvollem Dunkel. Ein hoher Gebirgszug an der Nordküste des Südkontinents wurde angeblich von den legendären Geflügelten bewohnt, die ihre auf hohen Gipfeln gelegenen Gebirgsnester mit wilder Entschlossenheit verteidigten.
Zwischen den Bergen und dem Meer, im Hügelland mit seinen grünen, föhrenbestandenen Tälern, lag das Königreich der Xandim. Ihr zwischen den Bergen und dem Meer eingeschlossener Lebensraum war knapp bemessen, und es hieß, daß ihre begehrlichen Blicke den nördlichen Ländern mit ihren weiten Weidegründen galten, die sie für die sagenhaften Pferde benötigten, die sie züchteten.
Südlich des Gebirges schloß sich eine Wüste an, jenseits derer das Land der Khazalim lag: einer gewalttätigen Kriegerrasse, die von einem grausamen, tyrannischen König regiert wurde. Angesichts dieser Nachbarschaft jenseits des Meeres war es kein Wunder, daß der Regierende Rat von Nexis stets dafür gesorgt hatte, daß die wüsten Berge ihrer Südküste gut befestigt waren.
»Ich frage mich, ob die Südländer wirklich so furchtbar gefährlich sind?« grübelte Anvar.
»Es heißt, daß sie für meinesgleichen nicht viel übrig haben«, sagte Aurian. »Es ist wohl das beste, wenn ich nicht versuche, es herauszufinden. Aber ich weiß, worauf du hinaus willst. Ich würde auch gern fremde Länder kennenlernen – und versuchen, die Vergangenheit hinter mir zu lassen. Aber für mich ist das unmöglich; du wirst es dagegen vielleicht eines Tages schaffen.«
»Ich?« Anvars Blick wanderte unwillkürlich zu dem Zeichen der Leibeigenschaft auf seiner Hand. »Aber ich bin nur ein Diener.
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