Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
Fieber danieder, das die grausamen, stechenden Insekten übertrugen. Eines Morgens war er unfähig gewesen, sich zu erheben, und sein Körper wurde von einem zitternden Delirium heimgesucht. Der Aufseher rollte ihn mit dem Fuß zur Seite. »Der da ist fertig.« Die Worte hallten unheimlich in Anvars schwindendem Bewußtsein wider. »Schick die anderen zur Arbeit, um den da kümmern wir uns später. Wie schade, er hat mir schon einen ganzen Monatslohn eingebracht. Wenn er sich nur noch ein kleines bißchen länger gehalten hätte, wäre es mehr gewesen.« Das waren die letzten Worte, die Anvar hörte, bevor er hinuntergezogen wurde, hinab in eine unendliche Spirale der Finsternis. In diesem Augenblick fielen aller Kummer, alle Schmerzen und alle Schwächen von ihm ab, und zufrieden ließ er sich treiben, um seine letzte Reise anzutreten.
Für mehrere Tage nach ihrer Unterhaltung mit Harihn tat Aurian nichts außer essen und schlafen und sich mit dem Arzt darüber streiten, wann sie endlich das Bett verlassen durfte. Die Suche nach Anvar hatte keine Fortschritte gemacht, und Aurian konnte es kaum erwarten, endlich die Dinge voranzutreiben. Aber der Arzt blieb unerbittlich, und zu ihrem Widerwillen mußte sie feststellen, daß Shia sie davon abhielt, ihr verwundetes Bein auszuprobieren, denn sie hatte sich unerwarteterweise, aber mit großer Entschlossenheit auf die Seite des verhutzelten, kleinen Mannes gestellt. Da die große Katze ihr nie von der Seite wich, war Aurian hilflos ans Bett gefesselt, aufopferungsvoll bedient von dem gigantischen Bohan. Aus Dankbarkeit für seine Ergebenheit und die wohlmeinende Sorge sowohl von Shia als auch von ihrem Gastgeber, versuchte Aurian, ihren Ärger im Zaum zu halten, aber ihre Enttäuschung wuchs mit jedem neuen Tag.
Harihn verbrachte einen guten Teil seiner Zeit mit der Magusch, und im Laufe ihrer Unterhaltungen erzählte er ihr auch von dem Stadtstaat Taibeth, in dem sie sich zur Zeit aufhielt. Es war die Hauptstadt und der nördlichste Vorposten der Khazalim, von denen die meisten ein Nomadenleben in der unfruchtbaren Wildnis südlich des großen Flußtales führten oder weiter flußaufwärts in einer der verstreuten Siedlungen im Westen wohnten. »Es ist ein schwieriges Land«, erklärte er ihr, »und die Khazalim sind schwierige Menschen – wild, kriegerisch und gnadenlos zu ihren Feinden. Mein Vater ist ein gutes Beispiel für unsere Rasse.« Mit diesen Worten begann er von seiner unglücklichen Kindheit zu sprechen.
Die Mutter des Prinzen war eine Prinzessin der Xandim gewesen, die weit jenseits der Wüste lebten und bekannt waren für ihre legendären Pferde. Xiang hatte sie bei einem Überfall auf ihr Volk geraubt und zu seiner Frau gemacht, aber ihr Geist hatte sich als zu stolz und zu unabhängig für den Geschmack des Khisu erwiesen. Als Harihn noch ein kleiner Junge war, hatte Xiang seine Mutter schließlich von Meuchelmördern im Fluß ertränken lassen und ihren Tod später als Unfall hingestellt. Ihr Sohn hatte seine Kindheit auf Streifzügen durch den königlichen Palast zugebracht, einsam und ungeliebt, ein fortwährendes Opfer der Brutalität seines Vaters. Aber der Khisu hatte sich nie eine neue Königin genommen, und als einziger königlicher Erbe war Harihns Leben nie bedroht gewesen – bis jetzt.
Sehr zu Aurians Mißfallen weigerte der Prinz sich, die Idee fahren zu lassen, Anvar dazu zu benutzen, die neue Königin in Mißkredit zu bringen. »Wirklich«, sagte er, »dein Mann könnte sich als eine gute Waffe gegen meinen königlichen Vater erweisen.«
»Also, einen Augenblick mal«, unterbrach Aurian ihn. »Ich werde nicht zulassen, daß Anvar wegen dieser Fehde zwischen Euch und eurem Vater in Gefahr gerät.«
»Gefahr? Fehde? Aurian, du verstehst nicht.« Harihn beugte sich vor, und der Blick in seinen Augen war unmißverständlich. »Dein Mann befindet sich in der allergrößten Gefahr, falls er überhaupt noch lebt. Wenn der Khisu herausfindet, welche Verbindung zwischen diesem Mann und seiner neuen Khisihn besteht, dann ist Anvars Leben kein Sandkorn mehr wert. Und was ist mit der Khisihn selbst? Ich habe doch ihre Unbarmherzigkeit gesehen, als sie deinen Tod forderte. Sie würde deinen Mann niemals am Leben lassen und so riskieren, daß ihr Geheimnis preisgegeben werden könnte. Nein, ich muß meine Suche sofort verstärken. Ich möchte dieses Faustpfand so bald wie möglich in meinen Händen halten, nicht nur um deines Seelenfriedens
Weitere Kostenlose Bücher