Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
haben. Beinahe bevor er Zeit hatte, seine Augen zu öffnen, war der Xandim an seiner Seite und hielt ihm eine Schale mit Suppe hin. Abermals stützte er Yazours Kopf, während dieser trank. Er half ihm mit so sanfter Vorsicht, daß der Krieger an seine Mutter denken mußte, die ihn, wenn er als Kind krank gewesen war, mit der gleichen Zärtlichkeit versorgt hatte. Seine Mutter, die sich das Leben genommen hatte, als Yazour fünfzehn war, nachdem sein Vater, ein Krieger, in Xiangs Diensten getötet worden war – bei einem Überfall auf die Xandim, durch eine Lanze der Xandim.
Fluchend versuchte Yazour, sich von der verhaßten Hand zu befreien. Suppe ergoß sich über seine Brust, und ein scharfer Schmerz durchstach seine Schulter. Ein gedämpftes Wimmern des Schmerzes drang durch seine zusammengebissenen Zähne, bevor er erschöpft wieder zurückfiel. Er spürte, wie frisches Blut klebrig durch den Verband seiner Schulter sickerte. Verband? Yazour war vorher zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, um ihn zu bemerken. Auch sein Oberschenkel war verbunden, dort wo ein Schwert ihn bei seiner Flucht aus dem Turm erwischt hatte. Der Krieger runzelte die Stirn. Dieser Feind hatte ihn gerettet, hatte seine Wunden verarztet und versuchte jetzt, ihm zu essen zu geben.
Yazours Feind schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er fest. »Nicht …« Er sagte noch ein anderes Wort, das der junge Krieger nicht kannte, und machte dann mit ausladenden Gesten Yazours Bemühungen nach, sich zu befreien. »Nicht Gefangener, …«
Ah, Gefangener. Das war ein Wort der Xandim, das der Krieger verstand, aber das Wort, das ihm folgte, hatte er noch nie gehört. Der Xandim runzelte die Stirn, dachte nach und streckte dann eine Hand aus, um mit einem warmen Lächeln Yazours eigene Hand zu ergreifen.
Freund? Könnte er mein Freund sein? Yazour hatte nicht die Absicht, sich mit einem der verfluchten Xandim zu befreunden, die seinen Vater getötet hatten. Mit einem Fluch riß er seine Hand zurück. Dann erstarrte er und fragte sich zu spät, ob er vielleicht einen fatalen Fehler gemacht hatte. Aber sein Retter seufzte nur und hielt ihm noch einmal die Suppe hin. Diesmal siegte sein gesunder Menschenverstand. Wenn Yazour entkommen wollte, um seinen Freunden zu Hilfe zu eilen, mußte er wieder zu Kräften kommen. Er riß dem Fremden die Schale aus der Hand und funkelte ihn wütend an, als er versuchte, ihm wieder seine Hilfe anzubieten.
Dieser Mann mochte zwar ein Feind sein, aber beim Schnitter, er konnte kochen. Yazour war vollkommen ausgehungert. Er schlang die Suppe so hastig in sich hinein, daß er sich die Zunge verbrannte. So sehr es ihm auch widerstrebte, von einem Xandim einen Gefallen zu erbitten, streckte er doch die Schale aus, um noch mehr zu bekommen, aber der Fremde schüttelte den Kopf. »Bastard«, murmelte der junge Krieger. Dann wandte er sich ab, zog sich die Felle übers Gesicht und tat so, als würde er wieder einschlafen. In Wirklichkeit wollte er sich Zeit zum Nachdenken verschaffen.
Warum? Warum hatte dieser Xandim sich solche Mühe gegeben, einem Feind zu helfen? Yazour haßte die Rasse des Fremden aus ganzem Herzen, und doch hatte ihm dieser Sohn eines Schweines das Leben gerettet. Der Krieger wälzte sich ruhelos auf seinem Lager herum, verstört von der Richtung, die seine Gedanken einschlugen, und von der Wunde in seinem Oberschenkel, die schmerzhaft pochte. Einer seiner eigenen Leute hatte Yazour diese Wunde beigebracht, einer seiner früheren Kameraden und Freunde. Beim Barte des Schnitters, was für ein Durcheinander! Der Krieger fragte sich, ob das der Grund war, warum der Mann ihn gerettet hatte. Die Khazalim waren Feinde der Xandim, daher war Yazour ein Opfer der Feinde des Fremden … Aber nein, dachte er. Selbst wenn er mich zuerst nicht erkannt hätte, hätte er gewußt, daß ich ein Khazalim bin, sobald er mich hierhergebracht hatte – und trotzdem hat er sich um mich gekümmert. Im Namen des Schnitters, warum?
Yazour konnte es nicht mehr aushalten. Er wälzte sich auf die andere Seite, schob die Pelze weg und versuchte, seinem Wohltäter in die Augen zu sehen. »Warum?« fragte er in Xandim und wünschte sich, er beherrschte die Sprache besser. Er zeigte auf das Feuer, auf die Höhle, auf seine verbundenen Wunden. Der Mann lächelte und hielt ihm abermals die Hand hin. »Freund«, wiederholte er.
Yazour war in der Gewalt des Fremden, und außerdem hatte der Mann ihm das Leben gerettet. Er zwang
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