Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
immer düsterer und nachdenklicher, vor allem seit dem noch nicht lange zurückliegenden Verlust seines Bruders. Er kam aus verschiedenen Gründen hierher; einmal, weil es sicher war – die Söldner, die in den Diensten der widerlichen Magusch standen, hatten nur einmal versucht, hier hereinzukommen, und sie harten es später bitter bereut. Er kam, weil er es sich leisten konnte; er war ein sehr großer Mann, und obwohl er keinen Streit suchte, mußte doch jeder, der unklug genug war, sich ihm in den Weg zu stellen, früher oder später dafür bezahlen. Die Leute hier respektierten ihn zumeist, und es war bekannt, daß Jarvas einen guten Freund und einen gnadenlosen Feind abgab. Schließlich und endlich – und es sprach sehr für ihn, daß er in der Lage war, sich diese Tatsache einzugestehen –, kam Jarvas hierher, weil er einsam war.
Es machte einem das Leben sehr schwer, wenn man häßlich war und zudem noch ungewöhnlich groß. Jarvas ging jedem Spiegel aus dem Weg. Es schien, als seien die Götter bei seiner Erschaffung in Eile gewesen und hätten einfach nur irgendwelche Gesichtszüge, die gerade bei der Hand waren, zusammengesucht – ohne über das Ergebnis nachzudenken. Sein Körper war eine baumelnde, zusammenhanglose Ansammlung verschiedener Teile – Teile, die alle nicht zusammenpassen wollten. Seine Hände und Füße waren zu groß für seine Gestalt, und das wollte wahrlich etwas heißen. Seine Brust war zu schmal für seine breiten Schultern und seine langen Beine, und was sein Gesicht betraf … Es war ein Alptraum. Seine Nase war zu lang, und seine Ohren standen ihm vom Kopf ab. Sein spitzes Kinn schien nicht richtig in der Mitte zu sitzen und war außerdem zu schmal für seine breite Stirn und die schweren Brauen. Seine Augen waren von einem schlammigen Graugrün, und trotz all seiner Bemühungen sah sein dunkles, strähniges Haar immer ungekämmt aus. Um es kurz zu machen, er war eine Katastrophe. Die Männer betrachteten ihn grundsätzlich als Bedrohung, und was die Frauen betraf – das konnte man erst recht vergessen. Keine von ihnen würde ihm jemals einen zweiten Blick gönnen. Bei seinem Aussehen fiel es Jarvas schwer, sich Freunde zu machen, aber er hatte Freunde, und das lag an der Größe seines Herzens.
Jarvas hatte sein eigenes Heim in der Nähe der Kaimauern. Es bestand aus zwei baufälligen Lagerhäusern und einer unbenutzten Walkmühle, die auf einem brachliegenden Grundstück nebeneinander standen. Früher hatte sich an dieser Stelle ein Armenviertel befunden, das jedoch auf Befehl des Erzmagusch niedergebrannt worden war, weil es in der Großen Dürre vor drei Jahren einen Seuchenherd dargestellt hatte, und gerade damals hatte Jarvas den Besitz geerbt, zusammen mit seinem Bruder Harkas.
Er war sehr überrascht über das Vermächtnis gewesen; seine Familie hatte mit Hilfe eines alten, lecken Bootes ein kümmerliches Auskommen bestritten. Er persönlich hatte den Erzählungen von einem Großonkel, der sich in einem Streit von der Familie entfremdet hatte und ein Grundstück am Flußufer besaß, nie Glauben geschenkt. In der Annahme, daß der Wunsch der Vater des Gedankens war, hatte er den Erzählungen seiner Eltern keine Aufmerksamkeit geschenkt. Welchen Sinn hätte das auch gehabt? Niemand wollte einen Besitz an der Nordseite des Flusses haben. In der Vergangenheit vielleicht, als die Hafenviertel reich und gut gepflegt waren, bevor die Wehre erbaut worden waren und die Schiffe den ganzen Weg flußaufwärts von Norberth heraufkommen konnten; damals war es vielleicht etwas anderes gewesen, aber jetzt?
Jarvas war Ende Zwanzig gewesen, als sein Onkel starb. Er hatte das Fährgeschäft bereits aufgegeben und verdiente sich seit mehr als einem Jahrzehnt in der Stadt seinen Lebensunterhalt, indem er jede Arbeit annahm, die ihm angeboten wurde. Während er sich als Vorarbeiter in einem Lagerhaus des Anführers der Händlergilde verdingt hatte, war es ihm gelungen, sich ein wenig Bildung zuzulegen. Vannor glaubte an Gelehrsamkeit und sorgte dafür, daß diejenigen seiner Leute, die das ebenfalls taten, Zugang dazu fanden.
Vannor war ein freundlicher Mann trotz seines respektgebietenden Rufes, und da er selbst einmal arm gewesen war, war er immer darauf bedacht gewesen, seinen Leuten zu helfen, damit sie es in der Welt zu etwas bringen konnten. Er war mit Jarvas und Harkas zusammen losgezogen, um ihr Erbe zu inspizieren, und das war ihr Glück gewesen. Als Jarvas die verlassenen
Weitere Kostenlose Bücher