Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
warfen es in verzerrten Blitzen widerlichen Verfalls zu Anvar zurück. Augen glitzerten – Stecknadelköpfe aus eitrigem Grün – weit über seinem Kopf. Mit Federn besetzte Fühler schwenkten wild durch die Luft; spitze, zusammengesetzte Kiefer klackten und klapperten und durchtrennten die Luft, als die Kreatur sich mit bösem Zischen aufbäumte und den Magusch mit Mordlust in den Augen anstarrte. Anvar schluckte, sein Herz raste vor Angst, und seine Kehle war plötzlich trocken geworden. Unwillkürlich machte er einige Schritte zurück, aber es war zu spät. Mit einem schnellen, wohlberechneten Sprung war das Ungeheuer über ihm.
Anvar warf sich zur Seite und drückte sich gegen die Tunnelmauer. Das mit Zähnen so scharf wie Sägen besetzte Maul schoß an ihm vorbei, und das gewaltige Tier wirbelte, angetrieben von seinem eigenen Schwung, weiter in den Tunnel hinein. Anvar schlug, als es an ihm vorbeikam, mit seinem Schwert nach ihm, und ein Nebel grüner Funken stob in der Dunkelheit auf – seine Klinge war an einem undurchdringlichen, schwarzen Panzer abgeprallt. Obwohl die Wucht seines Schlages Anvars Arm halb betäubt hatte, schlug er noch einmal zu und zielte diesmal auf die unzähligen, an ihm vorbeihuschenden Glieder. Es nützte jedoch alles nichts. Die Kreatur war zu kraftvoll, um von einer Klinge getötet werden zu können, aber sie war auch zu unbeholfen, um sich in dem schmalen Tunnel zu bewegen. Zumindest dachte Anvar dies. Erst als ihr finsterer, gegabelter Schwanz an ihm vorüberschoß, wurde ihm klar, daß die Kreatur in der Wand verschwunden war, wobei sie sich so mühelos durch den Stein geschoben hatte, als wäre er nichts als Luft! Was bedeutete, daß sie in der Lage war, sich jederzeit umzudrehen. Sie konnte aus jeder Richtung auf ihn zukommen …
Anvar wartete, seine feuchte Haut kribbelte, und er achtete auf jedes kühle Wispern in der Luft und jedes noch so leise Geräusch, das das Nahen des Ungeheuers verraten konnte. Shia und Khanu traten flink und kaum hörbar auf ihren weichen Pfoten zu ihm; er war froh über ihre Nähe, obwohl sie ihm kaum helfen konnten. Die Gedanken der jungen Katze waren ein Mahlstrom des Entsetzens, und zum ersten Mal war selbst Shia zu erschrocken, um etwas zu sagen. »Rücken an Rücken«, sagte Anvar zu ihnen, und seine Gedanken waren ein geistiges Flüstern. »Es könnte von überall herkommen …«
Mit einem ohrenbetäubenden Krachen in den gequälten Felsen brach das Ungeheuer durch den Boden unter Anvars Füßen hervor. Der Magusch und die Katzen, die durch die sich aufbäumenden Steine beiseite geschleudert wurden, entgingen nur um Haaresbreite der tödlichen Umklammerung der sich schließenden Kiefer. Anvar verfing sich in einem Labyrinth sich windender Chitinspiralen, als das Geschöpf versuchte, sich umzudrehen und sie mit seinem messerscharfen Maul zu fassen zu bekommen. Voller Verzweiflung schlug er mit dem Stab nach dem Ungeheuer, aber die glatten Schuppen reflektierten die Magie nur und lösten einen Steinhagel aus. Anvar, der dem Angriff des widerwärtigen Geschöpfs hilflos ausgesetzt war, stand mit dem Rücken gegen die Tunnelwand, als das Ungeheuer abermals sein Ziel verfehlte und in massivem Stein verschwand.
»Khanu? Shia?« Anvar, der die Orientierung verloren hatte, tastete in der Dunkelheit nach seinen Freunden. Er spürte das Pochen anschwellender Prellungen und registrierte das Brennen vieler kleiner Schnitte und Kratzer.
»Ich höre dich, Mensch.« Die unvertraute Stimme der jüngeren Katze hallte in den Gedanken des Magusch wider. »Shia ist hier – laß ihr nur einen Augenblick Zeit, sich wieder zu fassen …«
Es schien, als sei nicht einmal eine Sekunde vergangen, bevor Shias Stimme energisch in seinem inneren Ohr widerklang: »Anvar, wir müssen eine Möglichkeit finden, dieses Ding zu bekämpfen.«
»Ich habe schon mein Schwert und den Stab probiert. Ich bin offen für jeden Vorschlag, aber du solltest dich besser beeilen.«
Einen Augenblick lang herrschte völliges Schweigen, dann sagte Shia: »Wenn seine Schuppen unverletzlich sind, mußt du statt dessen auf die Augen zielen. Das ist vielleicht seine Schwachstelle – zumindest hoffe ich es.«
Der Magusch hatte keine Zeit für eine Antwort. Die Kreatur stürzte sich abermals brüllend auf ihn; diesmal kam sie hinterlistig von oben. »Stirb, du verfluchtes Geschöpf!« Anvar hatte keine Ahnung, daß er die Worte laut hinausgeschrien hatte. Es war ihm auch nicht bewußt,
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