Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
er. »Armer, alter Kerl. Nun ist er so weit gekommen, nur um zu sterben.«
»Laß mich sehen.« Chiamh schob ihn beiseite. Dann senkte er seinen zotteligen, braunen Kopf auf die Brust des alten Mannes und lauschte so lange, daß es Parric wie eine Ewigkeit erschien, bevor er sein Gesicht ganz nah an das von Elewin heranschob. »Noch nicht ganz tot, aber ziemlich nahe dran«, murmelte er. »Zu nah für meinen Geschmack, aber …«
Chiamh legte seine Hände auf die Brust des alten Mannes, dann auf sein Gesicht – schließlich hob er die Hände und bewegte sie in einer Reihe fließender Gesten, etwa so wie er es getan hatte, als er die großen Katzen verscheucht hatte. Er schien unsichtbare Figuren in die Luft zu zeichnen. Eingehüllt in eine Decke, kam Sangra mit Tränen in den Augen näher, und der Kavalleriemeister legte einen Arm um sie. Sie sahen verwundert zu, wie Chiamhs Hände sich geschmeidig über den Körper des alten Mannes bewegten und ihn – das schienen seine Gesten wenigstens anzudeuten – von Kopf bis Fuß in ein unsichtbares Gewebe hüllten.
Nach einer Weile blickte Chiamh auf, und Parric sah, daß das Gesicht des jungen Mannes trotz der furchtbaren Kälte auf dem Berg vor Schweiß glänzte. Chiamh wischte sich über die Augenbrauen und streckte wortlos die Hand nach der Flasche aus, die Sangra immer noch festhielt. »Es wird vielleicht lange genug halten«, sagte er und nahm einen kräftigen Schluck aus der Hasche. »Euer Freund ist alt, müde und sehr krank, und diese Kälte hätte ihn um ein Haar umgebracht. Aber ich habe etwas getan, das dafür sorgen wird, daß die Luft sich, zumindest für den Augenblick, weiter durch seine Lungen bewegt. Wenn es mir gelingt, ihn atmen zu lassen, bis wir ihn den Berg hinuntergetragen und zu mir nach Hause gebracht haben – nun, meine Großmutter hat mir viel über Kräuterlehre und Heilkunst beigebracht. Vielleicht kann ich ihn doch noch retten. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber wenn ihr ihm eure Decken geben könntet …?«
Parric blickte zweifelnd zu Sangra hinüber. Sie war bleich, zu Tode erschöpft und lehnte zitternd an einem Felsen, als reichte ihre Kraft nicht, um sich aufrecht zu halten. Und um ehrlich zu sein, ging es ihm nicht viel besser.
»Pocken und Blattern!« murmelte Sangra. Dann seufzte sie, schüttelte ihre Decke ab und reichte sie Chiamh. »Na los«, sagte sie energisch. »Laßt uns von diesem verfluchten Berg verschwinden, bevor wir alle erfrieren.«
Während sie den bewußtlosen Elewin für den Rückweg in Decken einpackten, schaute Chiamh plötzlich stirnrunzelnd auf. »Was ist aus eurer Begleiterin geworden, der Wahnsinnigen?«
Parric blickte ihn finster an und zuckte mit den Schultern. »Vergiß sie!« sagte er.
Es dauerte nicht lange, bis Chiamh klar wurde, daß es schwierig werden würde, den alten Mann den Berg hinunterzubekommen. Seine Begleiter waren selbst vollkommen geschwächt, und die Kälte tat ihr übriges. Wieder und wieder krampfte sich sein Herz zusammen, wenn einer der Fremdländer auf dem steilen Pfad ausrutschte, der durch das Schneefeld führte. Es hätte wahrlich nicht viel gefehlt, und der tödliche Abgrund hätte doch noch sein Opfer gefordert.
Die Zeit schien sich zu einer Ewigkeit auszudehnen, während sie wie Fliegen über die endlose, weite Räche krochen; zwei von ihnen plagten sich jeweils mit dem reglosen Leib des alten Mannes ab, den sie zwischen sich trugen, während der dritte sich ein wenig ausruhte. Es war nur gut, daß ihr Weg meist abwärts führte. Wie die Dinge lagen, stellte Chiamh nach nicht allzu langer Zeit fest, daß er sich ständig um Elewin kümmern mußte, während die beiden anderen sich länger und länger ausruhten und mit einigem Abstand hinter ihm hertrotteten. Sie hatten keine Ahnung, wie sie sich auf einem Berg bewegen mußten, und ihre Sorglosigkeit jagte dem Windauge immer neue Schrecken ein, aber zumindest hatten sie genug Verstand, um zu wissen, daß sie stets weitergehen mußten, obwohl Parrics Gesicht tiefe Furchen der Müdigkeit zeigte und Sangra aussah, als könne sie jederzeit zusammenbrechen. Dennoch hatte sie genug Kraft, Chiamh eine schallende Ohrfeige zu geben – was sie um ein Haar alle vier die Felsen hätte hinabstürzen lassen. Nachdem er gesehen hatte, daß ihre Nasenspitze erste Erfrierungen aufwies, hatte er ihr ohne weiteres Nachdenken eine Handvoll Schnee ins Gesicht geschlagen.
Als sie endlich die Abzweigungen des Pfades erreichten, die in
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