Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
in den Himmel auf. Die Tür war zugefroren, und Bohan mußte die ganze Kraft seiner mächtigen Schultern aufwenden, bevor die schwere Holzplatte endlich mit knirschender Klage aufsprang. Im Inneren war es stockdunkel, und die Kameraden, die nicht wußten, was sie dort erwartete, blieben widerwillig am Eingang zurück. Yazour zog an Anvars Ärmel. »Anvar, kannst du Licht machen?«
Durchgefroren und erschöpft, wie er war, und mit einem Verstand, der durch den Schock seines gewaltigen Sturzes noch halb betäubt war, fiel es Anvar schwer, sich auf die Worte des Kriegers zu konzentrieren. Nach einiger Zeit nickte er jedoch und versuchte, die Kraft zusammenraffen, die notwendig war, um einen Feuerball zu schaffen. Nichts geschah. Er fluchte und versuchte es noch einmal, schloß seine Augen und konzentrierte sich mit solcher Macht, daß ihm Schweiß auf die Stirn trat. Die kleinen Schweißperlen gefroren zu Eis, aber es geschah immer noch nichts. Sein müdes Gehirn weigerte sich einfach, seinem Willen zu gehorchen.
»Hier.«
Anvar öffnete die Augen und sah Aurian, die ihm den Erdenstab entgegenstreckte. Nach seinem jüngsten Mißgeschick und der Kühle, die sie anschließend ihm gegenüber an den Tag gelegt hatte, war er erstaunt darüber, daß sie ihm das kostbare Artefakt noch einmal anvertrauen wollte. »Bist du sicher?« Hinter dieser einen Frage standen tausend andere. Die Magusch nickte nur und legte ihm den Stab in die Hand. Wieder spürte Anvar, wie die Kraft des Stabes wie flüssiges Feuer durch seine Adern rann und unzerstörbare Hoffnung in seinem Herzen aufflammte. Er hob den Stab und hörte ein gedämpftes Aufkeuchen der anderen hinter sich, als die Spitze in zischende Flammen ausbrach und den Weg, der in das düstere Maul des Gebäudes führte, in helles Licht tauchte.
Die Kameraden folgten Anvar in den Turm hinein und in die einzige, kreisförmige Kammer, die sich in seinem Inneren befand. Bohan nahm ein Bündel Holz von dem Rücken eines Pferdes und warf es in den leeren Kamin. Anvar stieß den flammenden Stab mitten ins Herz der kleineren Aste, die zum Anzünden des Feuers gedacht waren, und alle brachen in Jubel aus, als das feuchte Holz zu glimmen begann und die ersten hellen Flammen aufloderten. Erst da gestattete er dem Feuer des Stabes zu ersterben. Es fiel ihm schwer, sich von solcher Pracht zu trennen. Als er sich widerwillig umdrehte, um Aurian das Artefakt zurückzugeben, zog sie eine Grimasse und schüttelte den Kopf. »Behalt ihn«, murmelte sie, »zumindest für den Augenblick. Mir nützt er ja nichts, solange ich in diesem Zustand bin.«
Oh, wie sehr er doch versucht war, ihr Angebot anzunehmen, aber … »Nein«, sagte Anvar. »Du hast ihn gefunden. Du hast ihn wiedererschaffen – er gehört eindeutig dir. Du wirst ihn schon sehr bald wieder gebrauchen können.« Aber sie hatte sich bereits abgewandt. Seufzend und sehr vorsichtig lehnte Anvar den Stab in einer schattigen Ecke an die Wand, wo er keinen Schaden nehmen konnte.
Die lodernden Flammen und die dampfende Hitze der Pferde und der Menschen, die sich auf kleinem Raum zusammendrängten, erwärmten das kahle Turmzimmer schon sehr bald. Während Nereni, die im Angesicht sicherer Wände und eines Kamins neue Kraft zu finden schien, ihre Vorräte plünderte, um einen ihrer herzhaften Eintöpfe zuzubereiten, und Yazour die verletzten Pferde verarztete, machten sich Eliizar und Bohan Fackeln und brachen auf, um den Turm auszukundschaften. Nach kurzer Zeit kehrten sie mit der Neuigkeit zurück, daß der Turm aus drei Stockwerken bestände. Über der groben Steinkammer lag ein weiteres, kreisförmiges Zimmer mit einer wackligen Leiter, die durch eine Falltür hindurch auf das flache Dach darüber führte. Unter der Kammer im Erdgeschoß lag, verbunden durch eine schmale Treppenflucht, ein feuchter, aber massiver Kerker, der in das Fundament hineingehauen war.
Das Abendessen war eine schweigsame Angelegenheit, denn jeder aus der müden, ausgehungerten, kleinen Schar schenkte dem Essen mehr Aufmerksamkeit als dem Gespräch. Im Laufe der Zeit, und nachdem sie ein gewisses Maß an Behaglichkeit erzielt hatten, begannen sich jedoch alle ein wenig zu entspannen – mit Ausnahme der beiden Magusch. Nereni mußte Aurian sehr bedrängen, damit sie überhaupt etwas aß, und dann saß sie schweigend und geistesabwesend da, ohne sich auch nur im geringsten am Gespräch zu beteiligen. Anvar war fast genauso schlimm und konnte dem exzellenten Mahl
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