Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
Forral nach ihrer Hand griff. »Es wird schon wieder gut, Liebes.« Die Magusch hörte, daß auch seine Stimme beinahe brach. »Wir werden ihn finden, keine Angst. Er ist ein zäher, kleiner Bursche, und du hast ihn sicher durch alle Gefahren geleitet, die sich dir in den Weg gestellt haben, als du ihn unterm Herzen trugst. Du hast nicht soviel durchgemacht, um ihn jetzt zu verlieren.«
»Du begreifst nicht«, rief Aurian weinend. »Seine Zieheltern waren Wölfe aus dem Süden, die hier, in einem fernen Land und ohne ihr Rudel, verloren sind. Sie hatten kein eigenes Territorium und keine anderen Wölfe, die ihnen bei der Aufzucht eines Jungen halfen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die heimischen Wölfe sie töten würden – und Wolf mit ihnen.«
Forral preßte Aurians Hand so kraftvoll, als wolle er ihr die Knochen brechen. »Hör mir zu«, sagte er fest. »Sehr wahrscheinlich ist nicht gewiß, und ich weigere mich zu glauben, daß mein Sohn tot ist, bis die Ereignisse mich eines anderen belehren. Vergiß nicht, mein Liebes – ich habe dich vor vielen Jahren gelehrt, immer das Wichtigste zuerst zu erledigen. Alles andere wird sich dann schon fügen.«
Aurian nickte, ohne ihn anzusehen.
»Nun, genau das werden wir jetzt tun. Zuerst gehen wir den Vorgängen in Nexis auf den Grund, dann werden wir Parric retten. Dann suchen wir Wolf, und danach kümmern wir uns um Eliseth und den Gral. Na, wie hört sich das an?«
Aurian faßte Mut aus seinen Worten. Sie holte tief Luft und lächelte ihn dankbar an. »Wenn du es so ausdrückst, hört es sich nach einem hervorragenden Plan an.«
Forral ließ ihre Hand nicht los. »Es wird alles wieder gut, Liebes«, sagte er mit leiser Stimme. »Du mußt immer daran glauben. Die ganze Zeit, in der ich in der Domäne des Todes geschmachtet habe, habe ich niemals jemanden wie Wolf durch das Tor kommen sehen. Ich bin sicher, daß er noch lebt – und falls er lebt, werden wir ihn finden, selbst wenn wir hinter jedem Grashalm zwischen Nexis und dem Eis des Nordens suchen müssen.«
Trotz ihrer Probleme heiterte das prächtige Mahl, das Hebba zubereitet hatte, die Magusch beträchtlich auf; es gab Suppe, Gänsebraten, Wurzelgemüse und den ersten Frühlingssalat, und das alles wurde mit dem schmackhaften Bier aus Hargorns Fässern heruntergespült. Alle hatten sich um den großen Küchentisch versammelt – bis auf die Katzen, die in der nahen Spülküche kurzen Prozeß mit einem Schwein machten, das der großzügige Hargorn eigens für sie geschlachtet hatte.
Nach den ersten paar Bissen hellte sich auch Hebbas Stimmung auf. Die Frau hatte das Mahl mit angespanntem und wachsamem Schweigen begonnen und Hargorns erschreckende Ansammlung von Gästen mit vielen zweifelhaften Blicken bedacht, aber schon bald strahlte auch sie und errötete unter der Flut von Komplimenten. Aurian widmete ihre ganze Aufmerksamkeit dem Essen auf ihrem Teller. Seit Ewigkeiten hatte sie kein ordentliches Mahl mehr zu sich genommen – und etwas, das so gut war, hatte sie seit Königin Rabes Krönungsfest nicht mehr gekostet.
Als Hebba schließlich die leeren Teller wegtrug, füllte Hargorn ihre Humpen erneut mit seinem exzellenten Gebräu. »So«, sagte er. »Wollen doch mal sehen, ob wir euch nicht das eine oder andere beschaffen können – Kleider, Decken und solche Dinge eben. Unterhalten können wir uns dann immer noch auf der Reise.«
»Was?« rief Aurian freudig. »Du kommst mit uns?«
»Nur bis zu den Nachtfahrern«, antwortete er. »Da sind ohnehin einige Leute, die ich besuchen möchte, und ich werde wahrscheinlich Dulsina hierher zurückbegleiten.« Er blickte vielsagend zu Hebba hinüber, die eifrig hin und her lief, und legte sich einen Finger an die Lippen. Mit einem flauen Gefühl im Magen wurde Aurian klar, daß der alte Krieger daran dachte, noch einmal zum Schwert zu greifen. Hargorn hatte nicht die Absicht, ins Einhorn zurückzukehren.
14
Der Erbe und die Geisel
Das Geräusch von Stimmen und Schritten draußen vor Licias Hütte weckte Maya. »Was ist los?« fragte sie schläfrig.
»Das sind die Arbeiter«, antwortete die Spitzenklöpplerin. »Sie kommen für die Nacht nach Hause.«
»Was?« Langsam schüttete die Kriegerin den Schlaf ab und kam wieder zu Verstand. Sie mühte sich auf die Füße und spähte aus der Hütte. Draußen zog ein zerlumptes Häufchen müder Arbeiter vorbei. Als Maya die Gesichter der Vorbeigehenden betrachtete, blieb sie bei einer kleinen,
Weitere Kostenlose Bücher