Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
schlang Anvar die Arme um sie. Es war nicht leicht, sich im Reich des Todes zu umarmen. Auch wenn er wußte, daß er Aurian im Arm hielt, auch wenn sie direkt vor ihm stand, konnte Anvar nichts spüren. Aber sie einfach hier bei sich zu haben, war dennoch ein wunderbares Gefühl. »Ich wußte nicht, wie ich dich jemals wiederfinden sollte«, flüsterte er in ihr Haar.
»Die Sorge hättest du dir sparen können.« Der sarkastische Tonfall des Todes zerstörte den magischen Augenblick. »Es sieht so aus, als könnte nicht einmal ich euch beide für längere Zeit voneinander fernhalten. Denkt daran, dies ist nicht das erste Mal, daß sich einer von euch auf der Suche nach dem anderen in mein Reich gewagt hat.«
Aurian sah den Tod an, während Anvar ohne eine Spur von Reue nach wie vor den Arm um sie gelegt hatte. »Das stimmt«, sagte sie. »Du mußt unseren Anblick doch mittlerweile gründlich leid sein.«
»Sehr scharfsinnig, Magusch – aber es wird nicht funktionieren«, erwiderte die Geistererscheinung streng und mit wachsendem Ärger. »Im Gegenteil, ich bekomme gar nicht genug von euch zu sehen. Ihr kommt, ihr geht. Ihr schert euch nicht im mindesten um die Heiligkeit meines Amtes und meines Reichs. Ich möchte euch – euch beide – hierher kommen, hier bleiben und durch den Brunnen der Seelen gehen sehen, um wie jedes natürliche Wesen wiedergeboren zu werden. Dann gäbe es vielleicht wieder etwas Frieden und Ordnung in meinem Königreich.«
Nur mit Mühe gelang es dem Tod, sich zu beherrschen, und als er das nächste Mal sprach, hatte seine Stimme wieder einen ruhigen Klang. »Aber dieses allerletzte Mal, meine Kinder, werde ich euch ziehen lassen.« Mit einer tiefen Verbeugung zeigte er auf den Pfad, den sie nehmen sollten. »Da drüben liegt der Brunnen der Seelen, Magusch. Sieh dir an, was du sehen willst, dann nimm deinen Geliebten und ziehe von dannen.« Mit diesen Worten verschwand er.
»Das war aber ein plötzlicher Gesinnungswechsel.« Anvar bedachte die Stelle, an der soeben noch die Geistererscheinung gestanden hatte, mit einem argwöhnischen Blick.
»Mir erschien es ein wenig zu plötzlich, verdammt noch mal.« Auch Aurian runzelte die Stirn. »Soviel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft sind nicht nur untypisch, sondern auch ein klein wenig zu einfach …«
Anvar verspürte einen Hauch von Unbehagen. »Besser, wir verschwenden keine Zeit mehr«, sagte er hastig.
»Sehen wir uns an, was du sehen willst, und verschwinden wir dann von hier, bevor er seine Meinung ändert.«
»Und seine Falle zuschnappen läßt«, beendete Aurian seinen Gedanken. Als Anvar sie ansah, flammten Mut, Zuversicht und Freude in seinem Herzen auf. »Bei allen Göttern, wie sehr ich dich vermißt habe«, sagte er leise.
»Und ich dich erst.« Die Magusch nahm seine Hand und umfaßte sie mit festem Griff. »Gehen wir – und unterwegs kannst du mir erzählen, wie du es geschafft hast, dich in diesen Schlamassel hineinzureiten«, fügte sie nüchtern hinzu.
Hand in Hand mit Anvar betrat Aurian den heiligen Wald und verbeugte sich vor den Bäumen, die beiseite traten, um die beiden Magusch durchzulassen. Binnen Sekunden kamen sie an die Lichtung, wo – umfangen von seinem Bett aus weichem, tiefem Moos – der Brunnen der Seelen lag. »Willst du über mich wachen?« fragte die Magusch Anvar leise. »Ich möchte nicht hineinfallen – wer weiß, wo ich landen würde.«
»Oder als was«, ergänzte Anvar sachlich. »Keine Angst, ich werde dich nicht hineinfallen lassen.«
»Und halte unbedingt nach dem Tod Ausschau. Er führt irgend etwas im Schilde. Ich bin mir ganz sicher …« Sie kniete sich ehrerbietig auf den gepolsterten Rand des Teichs und legte den Stab in das Moos neben ihr. Dann senkte sie den Kopf und spähte hinab in die unendliche, sternenübersäte Tiefe. Gewaltige Lichtspeere schossen von der Oberfläche auf und blendeten die Magusch für einen Augenblick. Als ihre Sicht wieder klar wurde, wirbelten die Galaxien in dem Teich herum, drehten und wanden sich in einem Mahlstrom gestreiften Lichtes. Aurian, die sich vor Anstrengung auf die Lippen biß, tauchte einen Finger in den Brunnen der Seelen und konzentrierte ihre Gedanken auf ihre Feindin …
Der geflügelte Priester lag mit verzerrten Gliedern auf dem Boden des Tempelgeländes, und ein langer Speer ragte aus seinem Herzen. Eliseth, die den Gral mit beiden Händen umklammert hielt, kniete über ihm. »Er ist wirklich tot.« Mit einem
Weitere Kostenlose Bücher