Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
konnten, und daß viele der jüngeren Schmuggler häufig als Matrosen die Route zu den südlichen Ländern befahren hatten. Forral besprach die Sache mit Schiannath und Iscalda, und nach gründlichem Nachdenken beschlossen sie, trotz aller Risiken nach Süden zu fahren – und das so schnell wie möglich. Forral ließ sich nicht davon abbringen, daß Aurian diesen Weg einschlagen würde – und daher würde auch er nach Süden gehen, und wenn er jeden einzelnen Zoll des Weges hätte schwimmen müssen.
Der Schwertkämpfer brannte darauf, die Magusch zu finden, und sorgte sich auch um den Verbleib des anderen Schiffs; des ersten Schiffs, dem es gelungen war, aus der Höhle zu fliehen – ganz zu schweigen von der Flottille kleiner Boote, die dem Angriff entkommen waren und die sich in allen Himmelsrichtungen über das dunkle Antlitz des Ozeans ausgebreitet hatten. Glücklicherweise kam ihnen Linnet zu Hilfe. Nachdem sie etwas gegessen und sich ein paar Stunden ausgeruht hatte, fühlte sich das geflügelte Mädchen weitgehend wieder hergestellt und flog nun der Nachtfalke voraus um einen großen Teil des Ozeans von oben abzusuchen und festzustellen, ob sie eines der anderen Schiffe aus der Luft erspähen konnte. Wenn ihre Mission erfolgreich war, würde sie jedes Boot einzeln zu dem Leitschiff der Nachtfahrer führen.
Aurian erwachte mit einem Krampf in dem Bein, das sie sich in einem unmöglichen Winkel unter den Körper geschoben hatte. Sie war müde, zu Tode erschöpft, und sie fror; sie schmiegte sich enger an Chiamh und versuchte, der Kälte des immer heftiger werdenden Windes zu entkommen. Einen Augenblick lang wußte sie nicht, wo sie war, bis sie das Schaukeln des Bootes wahrnahm und den Kopf hob, um den grauen Himmel und das graue Meer zu sehen. Plötzlich kehrten die Erinnerungen wieder zurück. Aurian stieß einen leisen Ruch aus und wünschte, wieder einschlafen zu können, um der Hut der Gedanken zu entrinnen.
Gerade als sie sich wieder niederlegte, explodierte eine Reihe schriller, monotoner Schreie in ihrem Ohr, und die Spitze eines Flügels stach ihr ins Auge. Blitzartig setzte Aurian sich auf und weckte Chiamh; mit einer Hand hielt sie sich ihr tränendes Auge. Als sie den Bussard sah, stieß sie einen leisen Freudenschrei aus. »Wie bist du denn hierhergekommen?« rief sie. »Chiamh, sieh nur – er muß uns gefolgt sein! Ist das nicht der Beweis dafür, daß es Anvar sein muß?«
»Du weißt, daß du mich nie davon zu überzeugen brauchtest.« Das Windauge sah den Falken mit ernster Miene an. »Die Schwierigkeit wird sein, ihm seinen rechtmäßigen Körper wiederzugeben.«
Die Schaukelbewegungen des Bootes waren in den letzten Sekunden noch heftiger geworden, und nun spritzte eine Wasserfontäne über den Bug. Wolf und Grince wurden vollkommen durchnäßt, und Wolf, der noch im Halbschlaf gewesen war, sprang mit einem panischen Jaulen auf. Er schüttelte einen Silberschauer winziger Tröpfchen aus seinem dicken, grauen Fell und blickte über den Bootsrand in die Unendlichkeit des auf und ab wogenden Meeres. »Das hier ist viel größer als unser See zu Hause, nicht wahr?« fragte er mit schwankender Stimme.
»Auf diesem verdammten Boot gibt es wohl nicht zufällig etwas zu essen?« Der Dieb meldete sich im Anschluß an die Klage ihres Sohnes zu Wort, und Aurian belächelte die List, mit der er den kleinen Wolf abzulenken versuchte – Grince mochte zwar der Gedankenrede nicht fähig sein, aber die wachsende Angst Wolfs spiegelte sich unverkennbar in dessen Augen. Erst da wurde Aurian klar, daß ihnen an Bord nicht nur die Nahrungsmittel fehlten – sie hatten auch kein Wasser. Und das Wetter gefiel ihr überhaupt nicht. Es war vollkommen unmöglich, daß ein kleines Boot wie das ihre bei schwerer See unversehrt blieb.
Chiamh fing ihren Blick auf – und die Magusch und das Windauge schlossen einen unausgesprochenen Pakt, die beiden jüngeren Mitglieder ihrer Mannschaft nicht in Panik zu stürzen. »Ich bin sicher, wir werden schon etwas fi …« begann Aurian, als Grince ihr ins Wort fiel. »Emmie hat mir einmal erzählt, daß in allen kleinen Booten Wasserflaschen für Notfälle untergebracht wären.«
Aurian wurde klar, daß Grince sich ihrer schweigenden Übereinkunft – Wolf nicht zu ängstigen – angeschlossen hatte. Die Magusch sandte ein stummes, aber inbrünstiges Dankgebet zu den Göttern. Laut sagte sie nur: »Gut gemacht, Grince. Warum versucht ihr zwei, du und Wolf, nicht, es
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