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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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alle zwei Tage habe ich sie besucht. Es war wie ein kleines Picknick. Wir spielten, sie leckte mir das Gesicht ab, und nach der Fütterung hat sie sich neben mir zusammengerollt und geschlafen.
    Eines Tages brachte ich ihr ein Festmahl mit, ein Stück Wildbret. Es wurde allmählich kalt. Ich wollte, dass sie Kraft für den Winter sammelt. Sie fraß, legte sich auf meine Brust, und ich sang ihr ein Schlaflied. Ich hätte ihr niemals etwas mitbringen dürfen, das so viel frisches Blut enthielt. Und wenn ich nicht gesungen hätte, hätte ich gehört, wie das Mistvieh sich anschleicht.«
    »Das Mistvieh?«
    »Ein Baumschakal. Auch für ihn stand der Winter bevor. Irgendwas kam angehuscht, und schon war sie weg. Er schleppte sie hoch auf einen Baum. Sie hat fünf Minuten geschrien, bis sie endlich tot war.«
    Jori stand wortlos auf und setzte sich ans andere Ende des Laderaums.
    Hadrian blickte ins Leere, nahm weder die Kälte noch das Schlingern des Boots wahr.
    Plötzlich zuckte ein greller Schmerz durch sein Knie. Joriwar wieder da, hielt sich an einem Balken fest und trat ihn. »Zum Teufel mit Ihnen!« Er konnte die Tränen auf ihren Wangen erkennen. »Zum Teufel mit Ihrer toten Familie! Ihr verfluchten Überlebenden widert mich an! Wir bedeuten euch nicht das Geringste! In eurer Welt sind nur Tote real! Wir sind bloß Schattenwesen! Wir zählen gar nichts. Die einzigen echten Menschen begegnen euch in euren Alpträumen. Nichts, was wir tun, spielt eine Rolle! Wir sind für euch nur Statisten, die euch am Leben erhalten, damit ihr euch in eurem Kummer suhlen könnt. Ich scheiße auf euch und eure alte Welt! Eure Welt ist weg. Sie kommt nie zurück! Ich bin kein Schatten, Hadrian Boone! Und nicht
ich
lebe in einer Schattenwelt, sondern Sie!« Jori trat ihn noch mal und ging weg.
    Er kehrte an seine Arbeit bei den Baumstämmen zurück, brachte mehrere Ladungen Holz nach unten, schlich dann in die Kombüse und öffnete dort den kleinen Schrank. Darin fanden sich Nadeln und Schnüre zum Flicken der Netze, ein Hammer und ein aufgerolltes Seil. Er nahm Hammer und Seil und versteckte sie hastig hinter dem Holz auf dem Achterdeck.
    Der immer kältere Wind drohte beständig, die
Anna
vom Kurs abzubringen. Hadrian wagte sich ins Ruderhaus, um sich kurz aufzuwärmen. Wade mühte sich am Steuer ab. »Ich kenne dieses Boot«, sagte Hadrian. »Lass mich übernehmen.«
    »Warum sollte ich das wohl tun, Lehrer?«
    »Ich will ebenso schnell nach Carthage wie du. Du musst was essen.«
    »Vorher muss Scanlon was kochen.« Als der massige Mann ein Stück zur Seite wich, sah Hadrian, dass an einem Haken neben dem Steuerrad eine abgesägte Schrotflinte hing.
    »Wir arbeiten doch jetzt beide für Sauger«, versuchte Hadrian es erneut.
    Eine Woge krachte gegen den Bug und flutete das Deck.Wade schaute auf den Kompass, zog ein Stück Kautabak aus der Tasche und biss davon ab.
    »Du bist ein Schwachkopf, Boone. Außer Fletcher und Shenker arbeitet niemand direkt für Sauger oder Kinzler. Ich arbeite für Fletcher. Und du gehörst jetzt zu meinen Leuten. Ich glaube, du darfst in Carthage hinter meinem Scheißhaus wohnen. Du wirst meinen Spucknapf säubern und Buchseiten weich kauen, bevor ich mir damit den Arsch abwische.«
    »Ich glaube, ich habe dich unterschätzt, Wade. Nach deinem Zaubertrick im Gefängnis hätte ich es besser wissen müssen.«
    »Zaubertrick?«
    »In der einen Minute sitzt du hinter Gittern, in der nächsten steuerst du die
Anna
mit Nelly und Shenker an Bord.«
    Hadrian musste ausweichen, weil Wade einen Strahl Tabaksaft in seine Richtung spuckte. »Du Vollidiot! Es ist genau, wie Fletcher zu Sauger gesagt hat. Du bist zu weich in der Birne, um nützlich zu sein. Kein echter Überlebensinstinkt, hat er gesagt. Deshalb bist du so unberechenbar.«
    »Vielleicht liegt es eher daran, dass das Überleben für mich nicht absoluten Vorrang genießt.«
    Wade schnaubte verächtlich. »Ganz recht«, sagte er, als wäre seine Behauptung damit bestätigt. Er steuerte den Bug in die nächste Woge und zog wieder den Kompass zurate. »Du hast es nie begriffen. Du hast gedacht, ich wäre wegen einer Messerstecherei im Knast. Aber ich war nur wegen dir da.«
    »Ich begreife es noch immer nicht.«
    »Richtig. Du hast nicht den blassesten Schimmer, wie Carthage funktioniert. Ich war dafür zuständig, dich im Auge zu behalten, dich zu beschäftigen, dich bei Bedarf betrunken zu machen. Sobald Buchanan dich freigelassen hatte, brauchte ich

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