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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Wolf, dachte Hadrian, sondern einer der bösartigen Marder, die sich in den letzten Jahren so sehr vermehrt hatten. Ein Baumschakal.
Schakale laufen mit Geistern
.
    »Sagt dir das was?«
    »Es ist bloß irgendein billiges Schmuckstück.«
    »Nein. Dahinter steckt mehr. Das ist das Merkmal, nach dem ich gesucht habe.« Er nahm den Jungen erneut in Augenschein. Nach dem Schiffsunglück war Reese für seinen Heldenmut gefeiert worden. Bestimmt hatten die Fischer ihm zahlreiche neue Stellen angeboten. »Die beiden Besucher – hast du sie gekannt?«
    Emily zuckte die Achseln. »Sie haben nach Fisch gerochen. Und nach noch etwas – nach Gewürzen. Nelken und Zimt. Ich habe angenommen, dass es zwei seiner Freunde waren. Sie haben sich nach seinem Befinden erkundigt, und ich sagte, er werde es wohl überleben.«
    »Was sind das für Freunde, die auf dem Flur stehenbleiben und mit dem Finger auf ihn zeigen?«
    Die Ärztin reagierte mit einem weiteren ratlosen Achselzucken. »Die Fischer und Jäger werden von Jahr zu Jahr abergläubischer. Hast du noch nichts davon mitbekommen? Wir bewegen uns rückwärts durch die Zeit und kehren die Geschichte um. Bald wird es wieder Hexenprozesse und Teufelsaustreibungen geben.«
    Hadrian trat an den Fuß des Betts und legte die Papierfetzen aus seiner Tasche auf die Decke. »Die haben unter Jonahs Schreibtisch gelegen.«
    »Hadrian, ich habe keine Zeit.«
    Er hielt sie mit erhobener Hand zurück und ordnete die Stücke schnell richtig an. Dann zeigte er auf die fehlenden Halbkreise am rechten Rand. »Braune und violette Punkte, hast du gesagt.«
    Die Ärztin neigte den Kopf, nahm dann eines der Papierstücke und betrachtete es im Schein der Öllampe.
    »Braune und violette Tinte. Er hat diese beiden Stücke vor seinem Tod herausgebissen.«
    Emily nickte stirnrunzelnd. »Aber das ist nicht von Bedeutung«, sagte sie, während sie die zusammengesetzte Seite auf dem Bett überflog. »Ein Tagebuch.«
    »Jonah hat stundenlang hieran gearbeitet. Jede Woche eine neue Seite«, erklärte Hadrian. »Ich weiß nur, dass mehr dahintersteckt, als du und ich erkennen können.« Er musterte den im Koma liegenden Seemann, riss dann ein Stück Papier von dem Krankenblatt ab, das neben dem Bett hing, und kritzelte eine Notiz darauf. »Gib das morgen früh dem Gouverneur.«
    Als Emily die Nachricht las, verzog sich ihr Mund, als hätte sie in etwas Saures gebissen. »Polizeischutz? Das wird er niemals bewilligen.«
    »Du sitzt im Rat.«
    »Warum sollte ich wollen, dass irgendein Scheusal in Uniform bei diesem armen Jungen herumlungert?«
    Hadrian ging zur Tür. Er war plötzlich todmüde. »Um die Wahrheit zu beschützen«, sagte er und verließ das Zimmer.
     
    Eine Stunde nach Tagesanbruch fand er Emily abermals in der Küche vor, wo sie ihren Krankenschwestern an dem großen Tisch beim Herd Unterricht erteilte. Sie schenkte ihm ein gequältes Lächeln, während er sich einen Tee eingoss. Die einzigen anderen Mediziner, die den Weg nach Carthage gefunden hatten, waren ein Chiropraktiker, ein Zahnarzt und zwei Medizinstudenten gewesen. Emily war also nicht nur die Oberärztin und Verwaltungschefin des Krankenhauses, sondern auch die leitende Dozentin der rudimentären medizinischen Fakultät.
    Hadrian ging nach draußen, nippte an dem starken Gebräu und wappnete sich für den schmerzvollen Tag, der vor ihm lag. Von einer Bäckerei in der Nähe des Hafens wehte der Duft frischer Brote herüber. Einen knappen Kilometer die Küste entlang legten die Trawler von den Kais ab. Am Stadtrand muhten Kühe. In der Ferne ertönte der mechanische Atem einer dampfbetriebenen Dreschmaschine, die ihr Tagewerk begann. Hadrian trank aus, stellte den Becher in der Küche ab und stieg den Hügel hinauf.
    In der Bibliothek waren Arbeiter damit beschäftigt, die Trümmer wegzuräumen. Sie machten ihm auf der Treppe wortlos Platz. Jonahs Werkstatt war fast vollständig zerstört und bislang offenbar noch nicht angetastet worden. Ein Seil verwehrte den Zutritt. Hadrian stieg hinüber und betrat den Raum. Verkohlte Dachschindeln zerbrachen unter seinen Schritten. Die kostbaren Sammlungen des alten Mannes waren wahllos verstreut. Bücher lagen in Wasserpfützen. Aufden Regalböden waren die Abdrücke schwerer Stiefel zu sehen. Die Feuerwehrleute hatten hinaufsteigen müssen, um mit dem Schlauch das Dach löschen zu können.
    Hadrian umrundete den großen Tisch und hatte kaum Hoffnung, in dem Durcheinander noch irgendwelche

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