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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Beweise finden zu können. Mühsam rief er sich ein weiteres Mal ins Gedächtnis, wie die Kammer ausgesehen hatte, als er auf seinen toten Freund gestoßen war, noch bevor der Brand und die Feuerwehr alles zerstört hatten. Er konnte die frischen Splitter am Dachbalken sehen. Dort hatte er auf den Strick eingehackt. Das Messer lag immer noch vor der hinteren Wand, wo er es achtlos hingeworfen hatte. Er hob es nun auf und bewunderte den fein gearbeiteten Griff, der mit dem Namen eines Herstellers aus Philadelphia sowie einer Jahreszahl versehen war. 1861. Wie Nash erklärt hatte, war eine solche Klinge viel zu nützlich, um sie sich als Antiquität aus dem Bürgerkrieg einfach an die Wand zu hängen. Stattdessen hatte man sie auf eine Größe heruntergeschliffen, die für den Angriff auf alte Männer geeignet war.
    Hadrian steckte sich die Klinge in den Gürtel und verbarg sie unter dem dicken Wollhemd. Dann sah er sich erneut in der Kammer um. Der Tisch war ungefähr einen halben Meter bewegt worden, bis er teilweise unter dem Balken stand. Es waren Abdrücke darauf, sowohl von den flachen Sohlen, die Jonah getragen hatte, als auch von Stiefeln. Damit ein so schwerer Tisch sich von der Stelle rührte, waren zwei Männer erforderlich. Es hatte also mindestens zwei Täter gegeben. Sie hatten den Wissenschaftler mit der Klinge an der Kehle gezwungen, erst auf den Stuhl und von dort auf den Tisch zu steigen. Dann hatten sie ihm die Schlinge umgelegt und ihn von der Tischkante gestoßen. Doch wenn sie ein solches Messer hatten, wieso machten sie sich die Mühe, ihn aufzuhängen?
    Er berührte die Fetzen aus Jonahs Tagebuch in seiner Tasche. Es musste einen Moment gegeben haben, in dem der alte Mann die Leute kommen gesehen und ihre Absicht durchschaut hatte. Er hätte auf den Balkon rennen und um Hilfe rufen können. Doch er hatte sich lieber seine illustrierte Seite geschnappt, zwei Stücke herausgebissen und den Rest in Stücke gerissen.
    Hadrian schritt langsam die Regale ab. Die meisten von Jonahs großartigen Exponaten waren beschädigt oder zerstört worden. Er fuhr mit dem Finger über die Kanten mehrerer Regalböden und wischte den Ruß von den Inschriften, die sein Freund in die Ränder der dicken Bretter geschnitzt hatte. Wissen ist ein Infekt, den alle Tyrannen fürchten, las er, dann: Erstaunen steht am Beginn allen Lernens. Er hob das ausgestopfte Birkhuhn auf, das im Chaos jener Nacht unrettbar beschädigt worden war. Eines der Beine war ganz abgebrochen, das andere fast. Der Kopf fehlte. Hadrian stutzte. Der Kopf war abgetrennt worden. Er zog das Messer, sah genau hin und fand eine winzige Feder, die zwischen Klinge und Griff steckte. Er hob ein weiteres Tier auf, dann noch eines. Auch sie waren verstümmelt worden. Für Jonah musste das so gewesen sein, als würde er einer Folterung beiwohnen. Auf dem Boden lagen die Überreste des detailgetreuen Observatoriumsmodells. Es war in Stücke gehackt worden.
    Hadrian musste daran denken, dass Emily zwei gebrochene Finger erwähnt hatte. Er stöhnte leise auf. Die Täter waren nicht gekommen, um Jonah zu töten, sondern um ihn zu martern, weil sie etwas Bestimmtes von ihm wollten. Und da sie gewusst hatten, wie viel die Exponate und Modelle ihm bedeuteten, hatten sie sich zunächst an ihnen ausgetobt. Jonah mochte einen schwachen Körper gehabt haben, aber ein stärkerer Geist war Hadrian noch nie begegnet. Die Foltererhatten versagt, obwohl sie ihm die Finger gebrochen und ihm ein Messer an die Kehle gehalten hatten. Sie hatten seine Sammlung zerstört, ihn mit der Waffe bedroht, ihm eine Schlinge um den Hals gelegt. Aber der alte Gelehrte hatte keine Angst gezeigt und ihnen nicht die Befriedigung gegönnt, dass er um sein Leben flehen oder ihnen geben würde, wonach sie verlangten. Jonah hatte zwei Stücke aus seiner Seite herausgebissen und sich aufhängen lassen. Aber wieso hatten sie danach noch Feuer gelegt?, fragte Hadrian sich, während er ein Buch vom Boden aufhob und zurück ins Regal stellte.
    Weil sie keinen Erfolg gehabt hatten, begriff er. Da sie das Gewünschte nicht bekommen konnten, hatten sie wenigstens dafür sorgen wollen, dass es vernichtet wurde.
    Geistesabwesend betrachtete er das Buch, das er gerade zurückgestellt hatte. Dann ließ der Titel ihn innehalten.
Große amerikanische Dichter
. Er nahm es zum Schreibtisch mit und setzte abermals die zerrissene Tagebuchseite zusammen.
Über den Feldern voller Korn
, fing dort der zweite Absatz

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