Die Asche der Erde
gesucht, nach Vögeln oder sogar Blumen. Wir haben ihm geholfen. Er hat uns Bücher gebracht, und manchmal hat er uns vorgelesen. Über einen großen weißen Fisch. Über Indianer. Letzten Monat hat er dieses Buch über Piraten mitgebracht, und wir haben ums Feuer gesessen und ihm zugehört. ›Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste.‹«
Nun erst fiel Hadrian das kleine Bücherregal auf, das neben dem Durchgang stand, der zum rückwärtigen Teil der Mühle führte. Er sah
Die Schatzinsel. Entführt. Ivanhoe. Robinson Crusoe. Huckleberry Finn. Der Schweizerische Robinson.
Beschämt wurde er rot. Falls er während der letzten Monate nicht so oft betrunken gewesen wäre oder im Gefängnis gesessen hätte, hätte er hiervon gewusst und Jonah vermutlich sogar bei seinen Ausflügen begleitet. »Worüber würdet ihr mit ihm reden wollen, falls er anriefe?«
Dax zuckte die Achseln. »Ich würde ihm sagen, dass es mir wegen der Sägegrube leidtut.«
»Sägegrube?«
»Er wollte sich dort in zwei Tagen mit uns treffen. Um uns den Rest des Piratenbuches vorzulesen. Und uns die Bilder zu erklären.«
»Was noch, Dax? Du hast doch kein Telefon vergraben, um dich wegen einer verpassten Lesung zu entschuldigen. Wonach würdest du ihn noch fragen?«
Der Junge rutschte unbehaglich umher. »Danach, wer jetzt die Worte hat. Und wegen der Besorgungen.«
Hadrian sah ihn an. »Soll das heißen, ihr habt etwas für Jonah erledigt?«
Dax musterte ihn schweigend einen Moment lang. Dann wirbelte er herum und wandte sich an die Besatzung seines seltsamen kleinen Schiffes. »Bemannt die Boote!«, rief er.
Und wie Mäuse in der Nacht huschten Dax und die Kinder in die Schatten davon.
Ein dünner schwarzhaariger Arzt stand über Jamie Reese gebeugt und trug etwas in ein Krankenblatt ein, als Hadrian das Zimmer im ersten Stock betrat. Der Patient lag immer noch so reglos da, wie Hadrian ihn zuletzt gesehen hatte.
»Hat sich was getan?«
Der Doktor zuckte erschrocken zusammen und richtete sich dann auf. »Es gibt jedenfalls keine Besserung«, murmelte er und stieß im Eingang fast mit Emily zusammen, als er den Raum verließ.
»Du kannst hier nicht einfach hereinspazieren und die Frau am Empfangsschalter ignorieren«, tadelte sie Hadrian. Sie war die Treppe hinaufgerannt und ganz außer Atem. »Sie wollte schon die Polizei holen.«
»Ich dachte, die Polizei beschützt ihn.«
»Der Gouverneur hat deiner Bitte nicht entsprochen.«
Hadrian nahm Reeses Hände, die narbigen, schwieligen Hände eines Fischers. »Was weißt du noch über ihn?«, fragte er.
»Manchmal ruft er laut, als hätte er einen Alptraum.«
»Was ruft er denn?«
»Nichts Zusammenhängendes. Es hört sich eher wie Angstschreie an. Einmal hat er sich zitternd aufgesetzt und gesagt, ein Schwarm geflügelter Schlangen würde ihn verfolgen.«
Er streckte die Hand aus und zog die Augenlider des Mannes hoch.
»Nein, Hadrian, lass ihn. Er …« Emilys Protest erstarb ihr auf den Lippen.
Die Iris des Patienten war blassblau und nur so schwach gefärbt, dass sie sich kaum vom Weiß der Augen abhob. Hier vor Hadrian lag ein Geist.
Während er Reese noch ungläubig anstarrte, registrierte er hinter sich eine Bewegung, gefolgt von einem weiteren erschrockenen Keuchen. An seiner Schulter stand Sergeant Waller.
»Heißt das, er ist tot?«, flüsterte sie bestürzt.
»Nein, Jori«, erwiderte Emily. »Sein Puls ist immer noch stark.«
Hadrian stellte sich zwischen Reese und die Polizistin. »Ich sagte doch, ich würde Sie in ein paar Tagen aufsuchen.«
Die Beamtin schien den Blick nur mit Mühe von dem Patienten abwenden zu können. »Ich wusste nicht, dass Sie hier sind.«
Emily legte ihm eine Hand auf den Arm. »Jori stammt aus einer guten Familie, Hadrian«, sagte sie, als wolle sie sich für Waller entschuldigen.
Hadrian schaute verwirrt von einer Frau zur anderen. »Nun, zunächst mal arbeitet sie für den Gouverneur und Kenton«, sagte er langsam. »Sie soll über mich Bericht erstatten. Sie ist eine erstklassige Schauspielerin. Ich sollte glauben, sie sei bloß eine mittelmäßige Schreibkraft.«
Bevor Waller etwas entgegnen konnte, zog Emily an Hadrians Arm, wie um ihn abzulenken. »Was erwartest du? Buchanan würde dir niemals freie Hand lassen, ohne dich zugleich im Auge zu behalten.«
Hadrian musterte die Ärztin und versuchte zu begreifen, weshalb sie die Polizistin zu verteidigen schien. »Vielleicht hast du vergessen, dass ich derjenige war, der den
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