Die Asche der Erde
älteren Bruder geliebt.«
»Dann helfen Sie mir, euch zu helfen, Shenker. Andernfalls werdet ihr beide hängen.«
»Buchanan blufft nur.«
»Der Gouverneur hat bereits angeordnet, dass ein Galgen errichtet wird, am Rand des Friedhofs«, warf Waller ein. Sie lehnte an der Tür und musterte die Gefangenen verunsichert.»Er will, dass das Ding den Beobachtern auf dem Hügel sofort ins Auge fällt. Er wird euch hängen lassen, bloß um denen eins auszuwischen.« Sie betrachtete die beiden Männer einen Moment. »Gestern hat er sich mit all den leitenden Offizieren getroffen«, erklärte sie zögernd. »Er hat gesagt, er sei mit seiner Geduld am Ende und dass nun bewiesen sei, die Kolonie könne ohne eine straffere Ordnung und die Beseitigung ihrer Feinde nicht überleben.«
Hinter ihnen regte sich Nelly. »Es gab bei uns diesen Sommer nur Missernten, Hadrian«, sagte sie leise. »Die Kartoffeln verfault, der Weizen von Pilz befallen. Hast du auch nur die geringste Vorstellung, was das für den Winter bedeutet? Den langsamen Tod für mindestens ein Viertel von uns.«
»Wir haben hier Vorräte«, sagte Hadrian. »Unsere Silos dürften bald voll sein.« Er hielt inne, weil ihm das letzte Gespräch mit Jonah wieder einfiel. Der alte Mann hatte davon gesprochen, die Camps mit Getreide zu versorgen. Er hatte von den Missernten gewusst.
»Wir brauchen Ihre verdammte Hilfe nicht«, herrschte Shenker ihn an. »Und die von Ihrer gesprenkelten Freundin auch nicht.«
Waller wich abrupt von Nellys Seite, machte einen einzelnen großen Schritt und trat Shenker in die Rippen. Trotz seiner offensichtlichen Schmerzen grinste er sie nur an. »Sobald Sie ein paar Haarbüschel verlieren, meine Hübsche, sind auch Sie bloß noch irgendein Brikett.«
Hadrian stellte sich zwischen die beiden. »Wie seid ihr in die Stadt gekommen?«, fragte er. »Wo habt ihr euch versteckt? Zwei Ausgestoßene können nicht drei Tage hierbleiben, ohne dass ihnen jemand hilft.«
Shenker grinste nur weiter.
Nelly rührte sich erneut. Waller beugte sich über sie und bot ihr wieder Wasser an. »Unsere Vernehmungsbeamten fragensie das schon seit der Verhaftung«, sagte die Polizistin. »Heute wurde der Eigentümer des Hauses festgenommen, auf dessen Dach sie waren. Der Gouverneur hat entschieden, ein altes Gesetz zur Anwendung zu bringen. Wer Ausgestoßenen hilft, kann selbst ausgestoßen werden.«
»Wir sind nicht eure Feinde, Shenker«, sagte Hadrian.
»Ihr habt uns so lange mit dem Stiefel in den Dreck gedrückt, dass ihr uns schon gar nicht mehr bemerkt«, fauchte der Mann.
»Für einen Unterdrücker weiß Hadrian aber ziemlich gut über das Wühlen im Dreck Bescheid, Shenker«, wandte Nelly ein.
Hadrian schaute zu ihr. Sie lächelte zerknirscht. »Tut mir leid, Hadrian«, sagte sie. »Mein Beschützer hat kürzlich eine Sammlung von Marx- und Mao-Texten gefunden. Da könnte ich mich doch fast mit dem Gedanken an Zensur anfreunden.« Mit dankbarem Nicken tauchte sie ein Stück Brot ins Wasser und steckte es sich in den Mund.
Hadrian warf einen kurzen, vielsagenden Blick in Wallers Richtung. Nelly zögerte und nickte dann. In den Camps gab es ebenfalls einen regierenden Rat, genannt das Tribunal, dem Nelly als dienstältestes Mitglied angehörte. Sie begriff, dass Hadrian die Polizistin darüber im Unklaren lassen wollte.
»Nelly, falls ihr wirklich bezweifelt, dass Buchanan euch hängen will, dann habt ihr nicht durchschaut, wie sehr er sich verändert hat.«
Die Ausgestoßene nahm das nächste Stückchen Brot und starrte es an. »Wusstest du, dass Jonah eine verschlissene Karte des Mondes an seine Hüttenwand geheftet hatte? Er hat mir mal die Namen der größten Krater und lunaren Meere erklärt. Zu Beginn seiner Karriere war er an manchen der Forschungen dort beteiligt.«
Die Polizistin lachte kurz auf. »Auf dem Mond?«, fragte sie sardonisch.
»Vor hundert Jahren sind Menschen über die Mondoberfläche spaziert, du dämliches Miststück«, fuhr Shenker sie an.
Waller sah Hadrian an, ihren ehemaligen Schulleiter, als müsse er Shenker korrigieren. Als er es nicht tat, wirkte sie seltsam verletzt.
Nelly schien nichts davon zu bemerken. »Manche der Krater trugen bloß Nummern«, fuhr sie fort. »Jonah sagte, Carthage und die Camps sollten eine gemeinsame Kommission bilden, die ihnen richtige Namen verleiht.«
Hadrian musste gegen eine jähe Wehmut ankämpfen, so stark, dass sie ihn zu paralysieren drohte. Jemand drückte seine Hand.
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