Die Asche der Erde

Booksticks an – der Tabak war in eine alte Buchseite gewickelt. Gleich darauf kam der Gouverneur wieder zum Vorschein. Er wirkte zufrieden.
    »Der Eigentümer des Hauses hat seine Aussage geändert«, erklärte Kenton. »Die Briketts sind vor dem Mord gewaltsam bei ihm eingedrungen und haben ihn geknebelt und an einen Stuhl gefesselt. Er bestätigt nun, dass ihre Kleidung am Abend des Brandes durchaus angesengt gewesen sein könnte, als sie zurückgekehrt sind.«
    Buchanan durchbohrte Hadrian mit einem gehässigen Blick, als wolle er ihn zum Protest herausfordern. »Nehmen Sie das zu Protokoll«, wies er Kenton an.
    Kenton lächelte hämisch, stieß Hadrian in die leere Zelle und verriegelte die Tür.
    Hadrian zog sich zu dem kleinen Fenster zurück, ließ den Blick über die Landschaft schweifen und ging in Gedanken die zahllosen Fluchtpläne durch, die er während anderer langer Nächte hier im Gefängnis geschmiedet hatte. Außerdem musste er irgendwie die beiden Ausgestoßenen befreien. Es gab draußen weder Stacheldraht noch Wachposten, die ihre Runden drehten. Es gab nur die Gitter vor dem Fenster, gegossen aus ehemaligem Schienenstahl. Hadrian zerrte daran und hämmerte vergeblich auf sie ein.
    Den Mord an Jonah begriff er noch immer nicht. Sein alter Freund blieb im Tode so rätselhaft wie zu Lebzeiten. Jeder Ansatz führte nur zu noch mehr Fragen und größerer Gefahr, und die Wahrheit schien für all die anderen Beteiligten dieses seltsamen, tückischen Spiels immer weniger von Bedeutung zu sein.
    Er ließ sich auf seine Pritsche fallen und versank in Erinnerungen, durchsetzt mit alptraumhaften Bildern. Jonah undNelly fünfzehn Jahre zuvor, bei der Aufführung eines Violinduetts vor einem Publikum aus Ausgestoßenen. Der Junge Dax tot am Boden, den Leib gespickt mit Schrotpatronen, die man nicht auf ihn abgefeuert, sondern ihm wie Pflöcke ins Fleisch getrieben hatte. Buchanan und Hadrian bedeckt mit Sägemehl, wie sie gemeinsam vor vielen Jahren arbeiteten und sich zum Rhythmus der Säge Lieder ausdachten. Die Camps der Ausgestoßenen im nächsten Winter, wo die Leichen wie Feuerholz gestapelt wurden, weil die Überlebenden zu schwach waren, um Löcher in den gefrorenen Boden zu graben.
    Jonah hatte erbittert gegen die Verbannungen angekämpft, und als Buchanan sich im Rahmen eines öffentlichen Referendums behauptete, hatte er es für seine Pflicht erachtet, die erste Karawane der Ausgestoßenen beim Verlassen der Kolonie zu begleiten. Das Schicksal der Verstrahlten war besiegelt gewesen, nachdem die Schwächsten von ihnen, die sich ihren Lebensunterhalt nicht mehr selbst verdienen konnten, eines der kostbaren Getreidesilos geplündert hatten. Buchanan hatte daraufhin den Untergang der Kolonie heraufbeschworen, wenn ein Drittel der Bevölkerung nicht für sich sorgen könne. Als es schließlich zur Abstimmung kam, waren Diebstähle von Nahrungsmitteln und Decken an der Tagesordnung. Und was noch schlimmer war, es wurden missgebildete, mutierte Kinder geboren.
    Jonah und Hadrian hatten die Nacht vor dem Exodus größtenteils damit zugebracht, gemeinsam mit Nelly die neue Siedlung der Ausgestoßenen zu planen. Als die Karawane die Stadt verließ, spielte Jonah auf seiner Geige eine fröhliche Melodie. Hadrian trug einen verkrüppelten Jungen auf den Schultern und ermunterte die anderen Kinder, im Takt der Musik voranzuhopsen. Nach den ersten acht Kilometern gelangte die Polizeieskorte zu dem Schluss, die beidenRatsmitglieder würden die Kolonne verlangsamen, und zwang sie, nach Carthage zurückzukehren. In der Folge bemühten Jonah und Hadrian sich, alle paar Wochen zu den neuen Camps zu reisen und beim Bau der Zeltplattformen zu helfen oder auf Packpferden Kanonenöfen heranzuschaffen. Schon nach einem Monat wurde dort ein Friedhof angelegt. Nach zwei Monaten gab es bereits zwanzig Gräber, und man behandelte die Besucher wie unwillkommene Eindringlinge. Beim nächsten Aufenthalt stellten sie eines Morgens fest, dass man all ihre Pferde des Fleisches wegen geschlachtet hatte. Dann konzentrierten sie sich darauf, zwei alten Freunden bei der heimlichen Flucht von Carthage in die Berge behilflich zu sein, bis die zweite Welle von Verbannungen über sie hereinbrach. Sie gelobten, im kommenden Frühjahr weitere Unterstützung für die Camps zu organisieren. Doch als es so weit war, wurde ganz Carthage von der Zensurdebatte beherrscht.
     
    Jonah traf Hadrian in dessen Büro an, wo er hastig Bücher einpackte,