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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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würde.«
    Wallers Kehle entstieg eine Art Schluchzen. Buchanan zog sich hinter Björn zurück.
    Hadrian nahm die Polizistin bei der Schulter und schob sieweg von dem schrecklichen Anblick. »Warum hat man ihn nicht einfach getötet?«, fragte sie.
    »Ich wette, das war als Bestrafung gedacht«, sagte Hadrian. »Als warnendes Beispiel. Wahrscheinlich hat man noch andere Leute hergebracht, die dabei zusehen mussten.«
    »Aber wer?«, fragte Buchanan. »Wer wäre zu so einem Gemetzel fähig?«
    Hadrian fixierte ihn mit kaltem Blick. »Diejenigen, die zusammen mit dir daran gearbeitet haben, den Rat zu kontrollieren.«
     
    Das Ende der Welt war auch für die Frommen eine schlimme Erfahrung gewesen. In der Folge war bei den meisten der Glaube nicht nur ins Wanken geraten, sondern komplett abhandengekommen, so dass sie ihn nicht nur vergaßen, sondern Hohn und Spott über ihn ausschütteten. In den ersten Jahren hatten die Leute ihrer religiösen Erziehung einfach den Rücken gekehrt. Der Kampf ums tägliche Überleben und der entsetzliche Schmerz ihrer Verluste hatten sie voll und ganz in Anspruch genommen.
    Als Hadrian nun den stämmigen Mann in dem groben braunen Wollgewand sah, der im Garten seiner kleinen weißen Kapelle arbeitete, wurde ihm etwas klar: Dies war vielleicht die einzige Person auf der ganzen Welt, die noch wusste, wie man traditionelle religiöse Zeremonien abhielt. Trotzdem hatte Pater William nie auch nur versucht, sich auf die alten Institutionen zu berufen oder sie gar zu kopieren. Er hatte sich darum bemüht, das Geistige zu ehren, nicht die Bräuche früherer Jahrhunderte. Dabei hatte er sich an die neuen Gegebenheiten der Kolonie und die kulturellen Grundfesten der Bürger angepasst. Anstatt der Liturgie bot er Diskussionen über »die Pfeil’ und Schleudern des wütenden Geschicks« an. Es gab keine Predigten, sondern Monologemit Totenschädeln in der Hand. In einer Kolonie, in der die meisten Haushalte eher über einen Band des alten Barden als über eine Bibel verfügten, überraschte es wenig, dass Williams Schäfchen sich selbst die Shakespeare-Christen nannten. Ein feierlich vorgetragenes Zitat aus
Macbeth
war bei ihnen genauso wahrscheinlich wie eine Textstelle aus dem Buch Salomo.
    Sonntags diente William seiner Gemeinde als Priester, an allen anderen Tagen war er der einsame Mönch, der durch den Wald streifte, meditierte und sich um die kleine Kapelle mit Blick auf den See kümmerte. Im Augenblick sortierte er frisch ausgegrabene Blumenzwiebeln. Hadrian kniete sich hin und half bei der Arbeit. Der Mönch nickte ihm zu. Hadrian hütete sich wohlweislich, als Erster das Wort zu ergreifen, denn William war bekannt dafür, dass er sich in den Wochen zwischen den Gottesdiensten des Öfteren einem Schweigegelübde unterwarf. Und dies war auch bei Weitem nicht das erste Mal, dass Hadrian ihm zur Hand ging. Vor einigen Monaten hatte William ihn sturzbetrunken aus dem Rinnstein gezogen und ihn dann Bienenkörbe flechten lassen. Danach hatte er Hadrian zur möglichst häufigen Wiederkehr ermuntert, um ihn von weiteren Sauftouren abzuhalten.
    Als sie nun mit den Blumenzwiebeln fertig waren, holte William zwei feste Bürsten und reichte eine dem Besucher, der sogleich begann, einen Marmorengel zu säubern, der auf einem weiß gestrichenen Zaunpfahl thronte. Es gab hier fast auf jedem der Pfähle eine solche kleine Steinfigur, ebenso auf den Fensterbänken im Innern der Kapelle. Bergungsarbeiter hatten sie gestiftet. Hadrian und William wussten, dass die verwitterten Skulpturen von verwüsteten Friedhöfen stammten, sprachen aber nie darüber.
    »Der Herr ist mein Hirte«, murmelte der Mönch, als er anfing, ein Kalksteinlamm abzubürsten. Es gehörte zu WilliamsGewohnheiten, bei jeder der Figuren ein kurzes Bittgebet zu sprechen. »Welcher sein Blut mit mir vergießt, sei er noch so niedrig, der heut’ge Tag wird adeln seinen Stand«, rezitierte er, als er die kleine Statue eines christlichen Kriegers erreichte.
    Nach einigen Minuten blickte er endlich auf. »Gestern ist eine von Buchanans Töchtern zu mir gekommen – die Ältere, Sarah. Sie hatte eine dieser Zeitschriftenanzeigen dabei.« Er hielt kurz inne. »Sie hat mich
hier
aufgesucht«, fügte er hinzu.
    Hadrian schaute zu dem Hügel über ihnen. Die kleine Bretterkapelle war nicht Williams eigentliche Kirche. Sie war ein Ort des Trostes unterhalb des Selbstmordgrats. »Bitte sagen Sie jetzt nicht, dass sie Spielsachen von der anderen

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