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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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durch die verrottende Hose gedrungen. Hadrian zwang sich, vorzutreten und den Leichnam zu begutachten. Unter dem verwesten Gesicht des Mannes schimmerte der weiße Schädel durch. Daneben lagen braune, leicht angegraute Haarbüschel. Die Augen waren weg, und die Kleidung war von Mehltau überzogen. Um eines der Beine wickelte sich eine Ranke.
    »Man hat seine Hände rücklings um den Baum gefesselt«, fuhr Buchanan fort. Die Arme des Toten waren zu beiden Seiten des liegenden Stammes ausgestreckt und verschwanden darunter. »Als hätte man ihn hier zum Sterben zurückgelassen.«
    »Als hätte man ihn hier gefoltert«, berichtigte Hadrian ihn. »Wer ist er?«
    »Keine Ahnung. Ein Jäger. Ein Farmer, der Streit mit einem Nachbarn hatte.«
    Ein Toter ohne Gesicht. Ein erstochener und in der Latrine versenkter Scout. Sein engster Freund gemartert und erhängt. Hadrians Angst wich allmählich einer kalten Wut. »Als wir neulich Hastings gefunden haben, wem hast du oder wem hat Kenton davon erzählt?«
    Buchanan blickte von dem grausigen Fund auf. »Niemandem, du Narr«, murmelte er.
    »Jemand wusste davon. Deshalb ist Jonah noch am selben Abend gestorben.«
    Der Gouverneur warf einen warnenden Blick auf Wallerund Björn. »Das war ein Staatsgeheimnis«, sagte er und gab Björn einen Wink. »Zerschneiden Sie die Fessel.«
    Der Norger klappte ein Taschenmesser auf, beugte sich kurz unter den Baumstamm und wich wieder zurück. Der Arm hing nun lose herab. Die Finger waren von kleinen Tieren angenagt worden, und einer fehlte ganz. Man hatte ihn sauber abgetrennt.
    Hadrian musterte das Haar und die Struktur dessen, was vom Gesicht übrig war. Dann kniete er sich hin, um die Kleidungsreste zu untersuchen. Sie bestanden durchweg aus Feinwolle und Leinen, und die Hemdtasche schien bestickt gewesen zu sein. Er blickte zu Buchanan empor. »Genau wie du gesagt hast. Er hatte Gesundheitsprobleme.«
    »Wovon redest du da?«
    »Es wurde ihm nicht irgendein Finger abgetrennt, sondern der Ringfinger. Weil daran nämlich ein Siegelring gesteckt hat, das Zeichen der Innung. Wie hast du ihn genannt? Deinen wichtigsten politischen Verbündeten? Den einflussreichsten Geschäftsmann der Kolonie? Ich würde sagen, der Holländer bringt seinen Einfluss seit sechs Monaten vom Grab aus zur Geltung.«
    Dem Gouverneur wich auch noch der letzte Rest Farbe aus dem Gesicht. »Du kannst unmöglich wissen, ob das van Wyck ist.«
    »Sieh dir die Konturen des Gesichts an, die Haare, die vornehme Kleidung. Die Reste seiner teuren Schuhe.« Hadrian griff in die Hemdtasche des Toten, zog einen Zettel daraus hervor und entfaltete ihn. Nachdem er ihn gelesen hatte, reichte er ihn Buchanan. »Ein Kaufvertrag für ein neues Pferd, ausgestellt auf van Wyck. Dies ist die Straße, die er zu seiner Farm im Süden genommen hätte.«
    Hinter ihm brach ein Zweig. Sergeant Waller kam hinzu und zwang sich, den Tatort in Augenschein zu nehmen.
    »Wer würde es wagen, ihn zu foltern?« Die Stimme des Gouverneurs war heiser geworden. Er hatte den Holländer während der Ratssitzungen als politischen Verbündeten benannt, hatte sein Votum genutzt und seine Briefe für das Protokoll verlesen – und zwar seit Monaten. »Aber es gibt keine Anzeichen für eine tödliche Verletzung. Es muss unbeabsichtigt geschehen sein. Er wurde zu irgendwas genötigt und hat einen Herzinfarkt erlitten.«
    Hadrian beugte sich über den Leichnam, betrachtete den zerstörten Torso und bemerkte nun die langen Streifen in dem verbliebenen Fleisch. »Man hat ihm vor seinem Tod tief in den Bauch geschnitten.«
    »Zu welchem Zweck?« Buchanan warf einen beunruhigten Blick auf die Schatten des Waldes.
    Hadrian umrundete den Stamm, suchte dabei den Boden ab und registrierte dann, dass Björn zu einem großen Loch in einem alten Ahornbaum hinaufstarrte. Es lag in etwa viereinhalb Metern Höhe und war von vertrauter Form, ebenso wie die Kratzspuren darunter. »Das hier dürfte zu Anfang des Frühlings geschehen sein«, sagte er. »Der Marder, der diesen Bau benutzt hat, hatte Junge. Die Schnitte in van Wycks Bauch sollten für einen unwiderstehlichen Blutgeruch sorgen.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Waller hinter ihm.
    »Ein Wurf umfasst vier, manchmal sogar sechs Jungtiere. Nach den ersten paar Wochen lechzen sie nach Frischfleisch.« Er drehte sich zu ihr um.
    »Van Wyck wurde hier festgebunden, damit eine Horde gieriger Baumschakale ihm bei lebendigem Leib die Eingeweide zerfetzen

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