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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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dann aber nachdenklicher. »Ein Polizist?«
    »In einem Schmugglerversteck.«
    »Dafür wird ein Preis zu bezahlen sein«, sagte Dax und klang nicht zum ersten Mal weiser, als sein Alter vermuten ließe.
    »Was ist es, Dax? Wie lautet der Name des Dings, das über uns hängt?«
    Als sein Nebenmann zögerte, sah Hadrian die Sorge auf seinem Gesicht. »Ich glaube, es ist ein Name aus der alten Welt«, sagte der Junge mit schwerer Stimme.
    Seine Worte gingen Hadrian zu Herzen.
    »Dann verrate mir, was du in Jonahs Auftrag gemacht hast.«
    »An manchen Tagen war er nicht gut zu Fuß.«
    Hadrian blickte über das Wasser einem kleinen schnellen Schwarm Schwalben hinterher. »Das heißt, du warst sein Bote. Hast in der Stadt Nachrichten überbracht, so wie du das auch für die Schakale tust.« Ihm wurde klar, dass Dax der perfekte Kandidat für diese Aufgabe war. Er kannte mit Sicherheit jede Gasse und Abkürzung von Carthage, außerdem viele Verstecke, und die Leute waren zudem daran gewöhnt, dass der Waisenjunge unerwartet irgendwo auftauchte und nirgendwo lange blieb.
    »Bei ihm war es anders. Er wollte mich bezahlen, aber ich habe gesagt, das ist nicht nötig. Sein Unterricht war besser als der in der Schule.«
    »Wo bist du für ihn gewesen?«
    »Überall. Im Krankenhaus. Bei Leuten mit Büchern. Beim Blechschmied und beim Glasbläser, der Sachen für ihn angefertigt hat. Wenn alles erledigt war, haben wir uns manchmal in der Norger-Bäckerei getroffen, weil er wusste, wie gern ich das Ahornzuckergebäck mag.«
    Hadrian dachte daran zurück, wonach Dax den toten Jonah hatte fragen wollen, falls der sich mit dem Telefon aus seinem Grab gemeldet hätte:
Danach, wer jetzt die Worte hat
. Als würde Dax etwas Wichtiges, Dringendes in den Botschaften wahrnehmen. Als spüre er, dass noch nicht alles erledigt war.
    »Einmal musste ich für ihn eine Nachricht in einer Birke verstecken, ungefähr drei Kilometer die Küste hinauf.«
    Hadrian dachte angestrengt darüber nach. »Stand der Baum am Rand eines steilen Pfades, der in die Berge führt?«
    Der Junge nickte. »Ein Woche später hat er mich noch mal hingeschickt. Dort lag ein zugenähter Mehlsack, den ich ihm zurückgebracht habe. Aber der Inhalt war nicht so schwer wie Mehl.«
    Das war ausgesprochen leichtsinnig von Jonah gewesen, und er musste einen guten Grund dafür gehabt haben, dachte Hadrian. Vor vielen Jahren hatten sie ihren Freunden Morgan und Helen bei der Flucht vor der zweiten Welle der Verbannungen geholfen und das Paar heimlich mit Vorräten versorgt, während es sich ein fernes, verstecktes Zuhause baute. Morgan kannte den Wald und all jene, die ihn durchquerten, so gut wie kein anderer.
    »An einem Tag wie heute, ohne Wind, ist es, als würden sie durch nassen Sand stapfen«, sagte Dax auf einmal. »Sie können sich nicht verstecken. Jeder kann sie sehen«, fügte er hinzu, als wolle er betonen, dass er hier kein Geheimnis preisgab.
    »Wie bitte?« Hadrian folgte dem Blick des Jungen hinaus aufs Wasser. Er verstand nicht.
    »Die Fischschwärme sind da«, sagte Dax und zeigte nach Norden.
    Hadrian suchte verwirrt den Horizont ab und hielt jäh inne. Obwohl das Boot schon beinahe außer Sicht war, blieb die Rauchfahne der Dampfmaschine an diesem windstillen Morgen lange am Himmel stehen. Der Trawler hielt nicht auf die Fischgründe zu, sondern fuhr nach Westen, auf verbotenem Kurs zu den Camps der Ausgestoßenen.

K APITEL SECHS
    Hadrian traf keuchend auf dem Balkon vor Jonahs Werkstatt ein. Er war den Hügel zur Bibliothek hinuntergerannt. Hastig schwang er das Teleskop in Richtung Ufer. Das Boot war inzwischen nur noch ein Fleck am Horizont, aber die Rauchfahne blieb deutlich zu erkennen. Hadrian richtete sich auf und nahm den Hafen in Augenschein. Eine aufkommende Morgenbrise trug zwei der alten Segeltrawler nach Norden. Dann richtete er das Teleskop nacheinander auf Jonahs Markierungen der Brüstung aus. Oben auf der Lichtung war Dax’ rotes Hemd zu sehen. Der Junge stand da und blickte hinaus auf die unzähligen Wasservögel.
    Hadrian schwenkte auf die mittlere Markierung um. Auf dem Dach der Fischverarbeitungsfabrik standen zwei Männer mit Fernrohren. Sie hatten vielleicht die Segeltrawler beobachtet oder nach Anzeichen für Fischschwärme Ausschau gehalten. Er sah, wie sie ihre Fernrohre nun auf den kleineren Kai richteten, der näher am Stadtzentrum lag. Jonahs dritte Markierung brachte ihn zu dem toten Baum am Rand der Wildnis. Am untersten Ast

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