Die Asche der Erde
kämpfen«, sagte Mischa. »Ihr solltet euch nicht von ihnen jagen lassen. Sie denken, sie seien besser als wir, Val, aber sie sind es nicht.«
»Wir haben beschlossen zu bleiben und euch die Verfolger vom Hals zu halten«, sagte Jan Hikaru. »Es ist das wenigste, was wir tun können, um euch für eure Hilfe zu danken.«
Val blickte schnell zu Simon, der bereits auf dem Floß stand und es mit einer Stange hielt. Er nickte ihr zu, und sie wandte sich den beiden zu und gab ihnen die Hand. »Wir wünschen euch Glück«, sagte sie einfach. »Nun ist es Zeit, daß wir aufbrechen.«
Während Mischa und Jan vom Ufer zurücktraten, stieg Val mit einem Fuß auf das Floß und hielt es mit dem anderen am Ufer, daß Krabbe an Bord kommen konnte. Er folgte ihr, dann wandte er sich zu Mischa, darauf wieder zurück zu Val, um schließlich in unschlüssiger Hilflosigkeit zwischen ihnen hin- und herzueilen. Er stieß einen erbärmlichen Klagelaut aus. Val schaute ihn traurig an. Mischa ging zu ihm und kniete nieder.
»Er weiß nicht, was er tun soll. Er hat keine Möglichkeit, zu entscheiden.« Sie konnte fühlen, daß er zwischen starken Loyalitäten nicht wählen konnte. Er bewegte sich noch schneller, vor und zurück, vor und zurück, und wurde dabei immer verwirrter, immer verzweifelter. Der Klagelaut ging in ein Winseln über. Mischa versuchte ihn zu beruhigen. »Krabbe, du mußt mit Val gehen.« Sie sagte es in Worten und Zeichen, mehrere Male hintereinander. Nach und nach verstand er, doch blieb seine Antwort unzusammenhängend und wirr, wie sie es von Gemmi kannte. Mischa versuchte sich aus der Verstrickung zu lösen. »Es ist wichtig. Du wirst wissen, wann es sicher ist, zurückzukehren.« Krabbe schmiegte sich an sie. Sie drängte ihn zu Val, doch er wollte nicht gehen. Sie nahm in bei der Hand und führte ihn zum Floß.
Val wartete. Mischa erreichte sie und blieb stehen.
»Mischa, du verstehst, warum wir gehen müssen.«
Mischa hätte gern geleugnet, daß sie es verstand, aber sie konnte sehen, was für eine kleine und machtlose Gruppe sie waren: Was sie an Kräften besaßen, war nach innen gerichtet timt diente dazu, einander zu helfen und am Leben zu erhalten. Stünden sie auf und verteidigten sich, so würden sie zerstreut, einzeln zur Strecke gebracht und vernichtet werden. Mischa spürte die Kraft ihres Zusammenhalts. Sie fragte sich, ob diese Leute sich unterschätzten. »Ich verstehe«, murmelte sie. »Ich verstehe gut... warum ihr so denkt.«
Val nahm Krabbe bei der Hand, und er folgte ihr.
»Lebt wohl«, sagte Val. Sie trat mit Krabbe auf das Floß, Simon setzte die Stange ein, und sie entfernten sich über das dunkle Wasser.
Kaum eine halbe Stunde später fühlte Mischa, daß die Pseudozygoten nahe waren, und bald darauf hörten sie und Jan die Maschinen.
Die Temperatur stieg an, als sie weiter abwärts stiegen und den Trupp der Verfolger von den Flüchtlingen ablenkten. Wie die vielfachen Arme in einem dreidimensionalen Flußdelta, breiteten sich um sie her Höhlengänge und Stollen aus, trennten sich und fanden wieder zusammen, stiegen an, fielen ab, mündeten in Höhlenkammern. Die Luftfeuchtigkeit stieg mit der Temperatur, und bald gingen sie zwischen ungezählten feinen Rinnsalen, die aus Spalten in den Decken und Wänden sickerten, sich vereinigten und in sprühenden Fächern über Felsstufen ergossen. Mischa zog ihre durchnäßte Jacke aus und band sie sich mit den Ärmeln um die Taille. Die allgegenwärtigen Geräusche des Wassers und ihre Echos lenkten sie ab, doch wenn sie ihr Wahrnehmungsvermögen anspannte, konnte sie Menschen hinter sich fühlen. Sie waren zu weit entfernt, um als Einzelpersonen unterschieden zu werden, und Mischa berührte sie so selten wie möglich.
Sie sorgte sich um Jan. Er war noch nicht kräftig genug, um eine lange Verfolgungsjagd durchzustehen, wenn er auch nicht zugeben wollte, daß er müde und erschöpft war. Sie wünschte, ihr Vorsprung wäre größer, aber die Zeit zwischen der Vorwarnung und dem Angriff war zu kurz gewesen; überdies hatten sie sich vergewissern müssen, daß die mechanischen Späher ihnen und nicht den Bewohnern des Untergrunds folgten.
Im Laufe von Jahrtausenden hatte das Wasser den Kalkstein allmählich ausgehöhlt, die löslichen Mineralstoffe ausgewaschen, den Kalkstein selbst zerfressen, bis die mächtigen Ablagerungsschichten des harten Gesteins von innen heraus porös und verkarstet waren. Vorsichtig bewegten sie sich zwischen
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