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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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gekannt und es verloren, andere hatten niemals eine Chance gehabt, und viele waren zur Gleichgültigkeit abgestumpft. Sie sprach mit denen, die von ihr Notiz nahmen. Die Leute wurden zornig, wenn sie das Mitleid anderer spürten, also zeigte sie es nicht. Auch konnte sie sich ihnen nicht überlegen fühlen; sie standen ihr viel zu nahe.
    Sowie es Mischa gelungen war, ihre Gedanken vom Tod abzuwenden, hatte Gemmi ihre Furcht vergessen. Das Kind gurgelte vor Vergnügen und Aufregung, als Mischa näher kam, bis die Stimme ihres Geistes sich mit hörbaren, entstellten Worten vermischte. Mischa durchstieß den klebrigen, säuerlichen Dunstkreis, der Gemmi anhaftete, aber das Kind sprang zurück und lachte. Ihr Onkel wußte die Zeichen von Mischas Annäherung zu lesen.
    »Beeil dich!«
    Die Tür stand angelehnt, um sie einzulassen; sie stieß den neuen Samtvorhang zurück, der dahinter angebracht war. In einer Höhle, die bisher immer trübe erhellt gewesen war, herrschte strahlendes Licht. Ihre Eltern hatten auf Beleuchtung keinen sonderlichen Wert gelegt, denn sie waren in ihren eigenen, separaten Geisteswelten zufrieden gewesen, hatten sich im Laufe der Jahre mehr und mehr voneinander und von den Kindern entfernt, bis Gemmi eines Tages zu weinen angefangen hatte, so laut und verzweifelt, daß es Mischa und Chris zu ihr gezogen hatte, um sie zu trösten und zu beruhigen, damit sie aufhörte, direkt in ihre Gehirne zu schreien. Sie hatte Grund genug gehabt: Ihre Eltern waren tot, und das mußte sie entsetzt haben, obwohl die beiden toten Gesichter einen Ausdruck von Frieden trugen. Mischa dachte manchmal, daß sie nicht sosehr gestorben waren, als vielmehr ihre Existenz zum logischen Extrem getrieben hatten. Mischa hatte sie selten gesehen und wußte nicht, was ihre Abwendung von der Realität verursacht hatte. Es konnte Geisteskrankheit gewesen sein, Apathie, meditative Absonderung oder eine Fähigkeit, in die Gedankenwelt anderer einzubrechen, wie Gemmi sie hatte. Sie waren unstet umhergewandert, selten gesprächig, nach außen hin beschränkt auf die Befriedigung ihrer biologischen Notwendigkeiten. Sie und ihre Kinder wurden mehr schlecht als recht vom verkrüppelten Onkel der Kinder versorgt, der als Gegenleistung dafür zuerst von Chris und dann, als sie ins erwerbsfähige Alter kam, von Mischa Unterstützung empfangen hatte.
    Mischas Onkel: Sohn von ihres Vaters Vater und ihrer Mutter
    Mutter, Halbbruder zu beiden Eltern Mischas, ein doppelter Halbonkel. Er war nie froh gewesen, nie zufrieden mit den Rationen zur Bestreitung des Lebensunterhalts. Seit er von Gemmis telepathischer Kraft erfahren hatte, waren seine Forderungen gewachsen und hatten in jüngster Zeit beschleunigt zugenommen. Jetzt wußte Mischa, wofür er das zusätzliche Geld wollte.
    Ausgestattet im Stil des Steinpalastes, enthielt die alte Höhle weiche Polster, Teppiche, Gobelins und viele Lampen. Delikatessen, in der Außenwelt gezogene und importierte Früchte füllten eine Schale auf einem niedrigen Tisch. Eine Gefährtin räkelte sich im Hintergrund des Höhlenraumes, blickte Mischa wie im Halbschlaf unter schwer herabsinkenden Lidern an: eine von den samtig-schönen, knabenhaften Gestalten, die ihr Onkel bevorzugte, nur war diese um Klassen besser als alles, was Mischa hier unten zu sehen gewohnt war. Um Klassen besser, und um Klassen kostspieliger. Mischa kannte den Wert dessen, was sie zusammengestohlen hatte; soviel war es nicht.
    Ihr Onkel lag auf einem breiten Ruhebett, angetan mit einem langen, weiten Umhang, der seine verkrüppelten Beine verbarg. In bizarrer Parodie glücklicher Vaterschaft hielt er Gemmi in seinem Schoß umfangen. Sie kuschelte sich an ihn, zufrieden mit jedem Brocken menschlicher Zuwendung. Sie war jünger als Mischa, aber größer, und begann zu reifen. Sie trug nur ein Hemd; niemand schätzte die Arbeit, sie sauberzuhalten. Das Hemd hatte alle Knöpfe verloren und enthüllte, weit aufklaffend, ihre knospenden Brüste. Die schwere Kette an ihrem Fußgelenk hielt sie noch immer an die Wand gefesselt.
    Mischa stand stirnrunzelnd, überwältigt vom Gefühl der Unrichtigkeit. Nur Gemmi brach die Stille mit ihrem Gegurgel. Die anderen Kinder, die jüngeren, waren fort.
    »Sag Mischa guten Tag, Gemmi.« Er lächelte und zeigte die langen Vorderzähne, so daß es aussah, als spottete er ihrer.
    Gemmi brach wie ein Sandfall über sie herein, aber Mischa nahm den Ansturm ohne ein Wimpernzucken hin. »Wo sind die

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