Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
oder einen Reel, und Jungen und Mädchen tanzen herum, indem sie die Beine vom Leib schmeißen und dabei die Hände an der Hosennaht lassen. Mrs. O’Connor ist eine große, dicke Frau, und wenn sie die Schallplatte anhält, um uns die Schritte zu zeigen, wabbelt ihr ganzes Fett vom Kinn bis zu den Fußknöcheln, und ich frage mich, warum sie ausgerechnet Tanzlehrerin geworden ist. Sie geht durch den Saal zu meiner Mutter und sagt, das ist also der kleine Frankie? Ich glaube, hier haben wir jemanden, der zum Tänzer taugt. Buben und Mädchen, wen haben wir hier?
Jemanden, der zum Tänzer taugt, Mrs. O’Connor.
Mam sagt, die Sixpence habe ich dabei, Mrs. O’Connor.
Ah ja, Mrs. McCourt, einen Augenblick bitte.
Sie watschelt zu einem Tisch und kommt mit dem Kopf eines schwarzen Jungen zurück, der welliges Haar, große Augen, breite, rote Lippen und einen offenen Mund hat. Sie sagt mir, ich soll die Sixpence in den Mund stecken und die Hand zurückziehen, bevor der schwarze Junge mich beißt. Alle Buben und Mädchen sehen zu und lächeln verhalten. Ich werfe die Sixpence hinein und ziehe die Hand zurück, bevor der Mund zuschnappt. Alle lachen, und ich weiß, daß sie sehen wollten, wie meine Hand im Mund steckenbleibt.
Mrs. O’Connor keucht und lacht und sagt zu meiner Mutter, na, ist das nicht zum Brüllen komisch? Mam sagt, es ist zum Brüllen komisch. Sie sagt mir, ich soll mich benehmen und tanzend nach Hause kommen.
Ich will da nicht bleiben, wo Mrs. O’Connor die Sixpence nicht selbst entgegennehmen kann, sondern wo ich beinahe die Hand im Mund des schwarzen Jungen einbüße. Ich will da nicht bleiben, wo man mit Buben und Mädchen in Reih und Glied stehen muß und den Rücken gerade machen, Hände an die Hosennaht, Augen geradeaus, nicht nach unten kucken, die Füße bewegen, die Füße bewegen, seht euch Cyril an, seht euch Cyril an, und da tanzt Cyril, aufgedonnert mit seinem safrangelben Kilt, und die Medaillen klimpern, Medaillen für dies und Medaillen für jenes, und die Mädchen lieben Cyril, und Mrs. O’Connor liebt Cyril, denn hat er nicht zu ihrem guten Ruf beigetragen, und hat sie ihm etwa nicht jeden Schritt beigebracht, den er jetzt beherrscht, oh, tanze, Cyril, tanze, ach Jesus, wie er durch den Raum schwebt, ein leibhaftiger Engel, und zieh nicht so ein Gesicht, Frankie McCourt, sonst kriegst du eine Schnute wie ein Pfund Kutteln, tanze, Frankie, tanze, hoch mit den Füßen um der Liebe Jesu willen, einszweidreivierfünf – einszweidrei und die einszweidrei, Maura, hilf doch bitte mal Frankie McCourt, bevor
sich seine Beine endgültig unterm Po verheddern, hilf ihm, Maura.
Maura ist schon groß und etwa zehn. Sie tanzt mit ihren weißen Zähnen in ihrem Tanzkleid auf mich zu, auf dem lauter goldene und gelbe und grüne Figuren sind, die angeblich aus den alten Zeiten stammen, und sie sagt, gib mir die Hand, kleiner Junge, und sie wirbelt mich durch den Saal, bis ich schwindlig werde und mich zum kompletten Blödmann mache und rot werde und dumm im Kopf, bis ich nur noch weinen möchte, aber ich werde dann doch gerettet, als die Schallplatte aufhört und das Grammophon huusch huusch macht.
Mrs. O’Connor sagt, vielen Dank, Maura, und nächste Woche, Cyril, kannst du Frankie ein paar von den Schritten zeigen, die dich berühmt gemacht haben. Nächste Woche, Buben und Mädchen, und vergeßt nicht die Sixpence für den kleinen schwarzen Jungen.
Die Buben und Mädchen gehen zusammen weg. Ich gehe alleine die Treppe hinunter und zur Tür hinaus und hoffe, daß meine Kumpels mich nicht mit Jungens sehen, die Kilts tragen, und mit Mädchen, die weiße Zähne und modische Kleider aus alten Zeiten haben.
Mam trinkt Tee mit Bridey Hannon, ihrer Freundin von nebenan. Mam sagt, was hast du gelernt? und ich muß durch die Küche tanzen,
einszweidreivierfünfsechssieben einszweidrei und die einszweidrei. Sie lacht sich mit Bridey ordentlich kaputt. Gar nicht übel fürs erste Mal. In einem Monat bist du ein regelrechter Cyril Benson.
Ich will nicht Cyril Benson sein. Ich will Fred Astaire sein.
Sie drehen vollends durch vor Lachen, Tee spritzt ihnen aus dem Mund. Wie ist er doch gottvoll, sagt Bridey. Und die hohe Meinung, die er von sich hat. Wie geht’s denn, Fred Astaire?
Mam sagt, Fred Astaire ist jeden Samstag zum Unterricht gegangen und hat nicht ständig gekickt, bis ihm die Zehen vorne aus den Schuhen hingen, und wenn ich so sein wollte wie er, müßte ich jede Woche zu Mrs.
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