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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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Gesellschaft meiden. Und dann natürlich: erben. Am besten: nochmal erben.
    Reiche wissen: So wird man reich.

2 DIE UNTERSCHICHT
    In Deutschland haben die Armen Geld genug
    Es waren Probleme, die man riechen konnte. Schon vor der Haustür. Im Treppenhaus des Plattenbaus wurde der Gestank intensiver. Er quoll aus der Wohnung im Erdgeschoss. Der Hund war offenbar nicht völlig stubenrein. Und auch die Katzen nicht. Angeblich drei. Auf den Treppenstufen gammelten Mülltüten. Andrea Thiel öffnete die Wohnungstür nur einen Spalt weit. Nicht aus Angst. Sie wollte vermeiden, dass mir der Durchzug die Federn ihres Großsittichs ins Gesicht blies. Vor dem Badezimmer schimmerte eine Pfütze. Die Toilette war leck. »Ich ha b ’s dem Hausmeister gemeldet«, sagte Frau Thiel. Der Herd war irgendwo in der Küche unter einem Berg von Krempel vergraben. Dieselbe undefinierbare Masse Zeug blockierte die Türen zu den beiden Kinderzimmern. Die Waschmaschine, Spende einer Hilfsorganisation, stand auf dem Balkon. »Es kommt einfach keiner, der sie mir anschließt.«
    So lebte Andrea Thiel mit ihren Zwillingen Yasmin und Florian in einer Dreiraumwohnung in Berlin-Marzahn. Sie war damals Ende 40, langzeitarbeitslos und hatte Diabetes. Der Vater, auch langzeitarbeitslos, beteiligte sich nicht an der Erziehung und trug nichts zum Lebensunterhalt der Familie bei. Er hatte insgesamt sechs Kinder mit vier Frauen und wohnte bei seiner aktuellen Freundin am anderen Ende von Marzahn. Die Zwillinge waren elf Jahre alt und gerade zum zweiten Mal sitzen geblieben. Florian war so dick – 75 Kilo –, dass die Kinderärztin sich ernsthafte Sorgen machte. »Er ist halt ’ne Eisvernichtungsmaschine«, entschuldigte sich seine Mutter. »Und die Yasmin, die schaut schon nach den Jungs. Da kann man nichts machen.«
    Bei meinem ersten Besuch lag eine Kinderunterhose auf dem Teppich, irgendwo auf dem halben Weg zwischen dem Couchtisch und dem riesigen Fernseher. In den folgenden Wochen war ich alle paar Tage bei den Thiels. Jedes Mal schien es, als habe sich die Unterhose bewegt, in Richtung des Kabelstrangs, aus dem die vielen Elektrogeräte mit Strom versorgt wurden. Mit der Zeit verfingen sich immer mehr Hunde- und Katzenhaare in dem Wäschestück. Streu aus dem Vogelkäfig segelte darauf. Schließlich war aus der Unterhose ein kleiner Hubbel auf dem Teppich geworden, der in den Farben des ewig flimmernden Fernsehers leuchtete.
    Florians Bett war einige Monate zuvor zusammengebrochen. Seitdem versuchte Frau Thiel herauszufinden, bei wem sie einen Antrag für ein neues Bett stellen soll. Sozialamt? Jugendamt? Jobcenter? Yasmin und Florian störte der Dreck und der Sperrmüll nicht, genauso wenig wie die Nachbarkinder. Die Wohnung der Thiels war ständig voller Kinder aus den Wohnblocks. Manche blieben hin und wieder über Nacht, wenn es bei ihnen zu Hause zu ungemütlich wurde. Oder zu gefährlich. Andrea Thiel schlug ihre Kinder nicht, sie nahm keine Drogen und war nie betrunken. Das machte Florians und Yasmins Zuhause für so manche ihrer Freunde zu einer friedlichen Insel, auf der sie sich ausruhen konnten von ihrem Leben in der Wohnung daneben, darüber oder im Haus gegenüber.
    Überzogen? Eine Ausnahme?
    2008 besuchte ich die Thiels zum ersten Mal. 1 Wäre dies mein erster Kontakt zur neuen deutschen Unterschicht gewesen, ich hätte die Thiels für einen extremen Einzelfall gehalten, untypisch und ohne Aussagewert für diesen Teil der Gesellschaft. Doch in den Jahren, bevor ich die Thiels traf, war ich unzählige Male in solchen Wohnungen in Stadtvierteln, die man soziale Brennpunkte nennt: in Essen-Katernberg, in Köln-Chorweiler, in Hamburg-Wilhelmsburg, in Berlin-Neukölln oder in Halle-Neustadt. Oft entdeckte ich in den Wohnungen elektronische Geräte, die mir bis dahin unbekannt waren. Aber niemals Bücher. Stets saß ich auf riesigen Couchgarnituren. Nie wurde der Fernseher auch nur leiser gedreht. Meistens teilten meine Gastgeber die Wohnung gleich mit mehreren Tieren. Ich traf völlig überforderte Menschen. Sie hatten die Kontrolle verloren über die Erziehung ihrer Kinder, über ihr Geld, ihre Zeit, ihre Gesundheit, ihre Wohnungen, ihre Sexualität. Über ihr Leben. Andrea Thiel und ihre Kinder sind ein drastisches Beispiel für eine Familie der Unterschicht. Aber ein typisches.
    Das Armutsdogma
    In Deutschland gibt es nur ein Merkmal, mit dem soziale Unterschiede dargestellt werden: Geld. Die soziale Frage wird auf das

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