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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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eine Erklärung für diese ungewöhnlich heftige Reaktion: In meinem Artikel hatte ich das Glaubensbekenntnis der deutschen Sozialstaatsgemeinde angezweifelt. Ich hatte behauptet: Die Lebenssituation der Unterschicht ist nicht auf Geldarmut zurückzuführen. Das Gegenteil ist richtig: Geldarmut ist nicht die Ursache der beschriebenen Verhaltensweise, sondern ihre Folge, eine Folge der Unterschichtskultur. Das wahre Elend ist also die Armut im Geiste, nicht die im Portemonnaie. Gegen diese Benachteiligung kann Geld nur wenig ausrichten. Die Unterschicht braucht keine höheren Transferzahlungen, sondern vor allem bessere Bildung.
    Mitte der 2000er Jahre war diese These für viele eine unerträgliche Provokation. Harald Schmidt hatte das »Unterschichtenfernsehen« noch nicht als Spottobjekt entdeckt. Die Super-Nanny und Schuldenberater Peter Zwegat hatten der RTL -Gemeinde noch nicht die Abgründe in deutschen Familien vorgeführt. Heinz Buschkowsky aus Neukölln, Deutschlands berühmtester Bürgermeister, war damals noch völlig unbekannt. Die Talkshows hatten den Streit über das »Prekariat« noch nicht in ihr Standardprogramm aufgenommen.
    Inzwischen ist die ganze Aufregung kaum noch nachvollziehbar. Das Wort »Unterschicht« steht nicht mehr auf dem Index der politischen Korrektheit. Dass Bildungsarmut die entscheidende Benachteiligung der Unterschicht darstellt, diese Erkenntnis ist heute keine Provokation mehr, sondern eine Binsenweisheit, die in keiner Sonntagsrede fehlen darf. Politik, Wissenschaft, Sozialindustrie – die ganze Gesellschaft hat sich bewegt. Ein kleines Stück nur, aber immerhin. Dennoch lautet die Überschrift über allen sozialen Problemen in Deutschland noch immer: Armut. Es ist das falsche Etikett. In Deutschland haben die Armen Geld genug.
    Sie besitzen Mikrowellenherde, Spielkonsolen, Smartphones, Computer und natürlich Flachbildfernseher. Ja, das ist ein Klischee. Doch es ist gleichzeitig die Wahrheit, nachgewiesen von den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes. 8 Dass in der Unterschicht die Frustration häufig mit der neusten Unterhaltungselektronik betäubt wird, haben längst auch die Hersteller der Geräte erkannt und ihre Verkaufstrategie auf diese Erkenntnis aufgebaut. Das Fotohandy oder der Festplattenrecorder, die neuste Technik wird fast immer über die Unterschicht in den Markt eingeführt.
    Der DVD -Spieler ist ein Beispiel, an dem sich der Mechanismus erklären lässt. Heute besitzt fast jeder Leser dieses Buches einen DVD -Spieler. Die meisten Bücherleser haben mit dem Kauf gewartet, bis der Preis unter 100 Euro gerutscht war. Anfangs haben die Geräte jedoch 300 oder 400 Euro gekostet. Wer hat so viel dafür bezahlt? Die Branche kann sich darauf verlassen, dass ihre Neuheiten von den Menschen mit dem niedrigsten Haushaltseinkommen gekauft werden. Folgerichtig wendet sich der Media Markt mit seinem Slogan »Ich bin doch nicht blöd« an diejenigen, die den Verdacht haben, sie könnten es doch sein.
    Die Wirtschaft investiert riesige Summen für Werbung, um an das Geld der Menschen zu kommen, die offiziell arm sind. Darauf basiert das Geschäftsmodell des viel zitierten »Unterschichtenfernsehens«. Privatsender finanzieren sich ausschließlich durch Werbung. Das gilt auch für Gerichtsshows und Reality Soaps am Vormittag. Aus Sicht der Industrie sind die »Armen« zahlungskräftige umworbene Kunden.
    Armut ist keine absolute Größe. Darum wird heute stets von »relativer Armut« gesprochen. Entscheidend ist dabei vor allem eines: Wer definiert sie? Für WHO und OECD ist arm, wer weniger als die Hälfte des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. In der EU liegt die Armutsgrenze bei 40 Prozent. In Deutschland ist die gebräuchliche Größe nicht die relative Armut selbst, sondern die Gefahr, dass man womöglich verarmen könnte, die »Armutsgefährdung«. Die ist bereits bei 60 Prozent erreicht. Je nachdem, welche Grenze gerade gilt, beginnt die Armut für Alleinlebende in Deutschland bei einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 690 Euro, oder 860 Euro, oder 1035 Euro. Alles bezogen auf die Daten des Statistischen Bundesamtes. Um die Verwirrung perfekt zu machen, definiert jedes wissenschaftliche Institut das Einkommen auf seine ganz eigene Weise. Damit weichen auch die Angaben zum mittleren Einkommen, dem Bezugspunkt sämtlicher Definitionen, erheblich von einander ab. 9
    Wie wenig plausibel dieser Katalog von Armutsdefinitionen die Realität abbildet, zeigt ein

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